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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

Der Lesesaal gestern und heute

Josef Durm stattete das Herzstück seiner Bibliothek, den Lesesaal, den er als „Hauptraum im Baue” bezeichnete, mit reichem, heute jedoch nicht mehr erhaltenem plastischen Schmuck aus.

In die vier Zwickel der flachen Bogen waren sitzende Frauengestalten eingelassen, die von jeweils zwei geflügelten Genien flankiert wurden. An der Eingangsseite des Saales waren Jurisprudenz und Theologie dargestellt, an der Fensterseite Philosophie und Medizin. Unter der jeweiligen Inschrifttafel war jeder Gruppe ein Bildnismedaillon eines Professors der Universität Heidelberg zugeordnet. Als Theologe war Richard Rothe, als Jurist Johann Kaspar Bluntschli, als Philosoph Ludwig Häusser und als Mediziner Hermann Helmholtz abgebildet.

Diese Gruppen fanden in den Bekrönungen der drei Türen eine Entsprechung. An der östlichen Wand (Zugang zum Katalogsaal) befand sich die Personifikation der Naturwissenschaften mit einem Bildnis Robert Wilhelm Bunsens.

An der westlichen Wand (Zugang zum Zeitschriftensaal) hielten Genien das bekrönte Doppelbildnis von Kurfürst Karl Friedrich von Baden, der 1803 die Universität neu gegründet hatte, und des Großherzogs Friedrich I. von Baden, dem Landesherren zur Zeit der Erbauung des Bibliotheksgebäudes.

An der dritten Tür im Süden (Haupteingang) wurde der Ornamentschmuck von zwei weiblichen Köpfen überragt. Unterhalb der Einwölbung der Saaldecke umzog ein Fries von Triumphkränzen den Raum.

Die Stuckarbeiten wurden nach Entwürfen Josef Durms von dem Bildhauer Wilhelm Füglister (1861-1921), der auch mit der inneren Ausschmückung des Erbgroßherzoglichen Palais in Karlsruhe und des Friedrichsbaus des Heidelberger Schlosses beauftragt worden war, ausgeführt. Finanzielle Gründe zwangen Durm seinen Plan, Gemälde im Lesesaal aufzuhängen, aufzugeben. Gleiches galt für seine Idee, über dem Eingang zum Lesesaal Büsten antiker Geistesgrößen, wie Homer und Aristoteles anzubringen. Die letztlich durchgeführte Ausstattung, die auf den heutigen Betrachter geradezu pompös wirkt, stellte für Durm das Minimum dar.

Die Universitätsbibliothek und damit auch der Lesesaal hatte den zweiten Weltkrieg ohne Schaden überstanden. Im Jahr 1954 wurde jedoch im Rahmen größerer Umbaumaßnahmen, die die Nutzungs- und Arbeitsbedingungen in der Bibliothek verbessern sollten, massiv in die Bausubstanz eingegriffen. Man riß die Nordwand des Lesesaals ein und errichtete - in den Innenhof vorversetzt - eine neue Wand. Die prächtigen und symbolreichen Stukkaturen wurden unwiederbringlich zerstört. Durch Einziehen einer Zwischendecke und Anheben des Schrägdaches erhielt man übereinander zwei Säle von etwa 29 m x 11 m Grundfläche. In dem oberen wurde der neue Lesesaal eingerichtet, der neben 120 Leseplätzen auch eine Handbibliothek von ca. 7.500 Bänden umfaßte. Der untere Raum nahm nun neben den Katalogen der Universitätsbibliothek die Bibliographische Auskunft mit ihrem Präsenzbestand an Nachschlagewerken sowie die Katalogisierungsabteilung auf.

Bereits in den 60er Jahren war der Lesesaal mit seinen 120 Leseplätzen ständig überfüllt, immer standen Benutzer an den Wänden, die auf das Freiwerden eines Platzes warteten. Entfernte sich ein Leser für kurze Zeit, so war bei seiner Rückkehr der Platz meist besetzt.

In den Jahren 1979/80 wurden die Leseplätze und der Präsenzbestand in zwei Stockwerke im Westflügel des Magazintraktes verlagert. Heute stehen dort den Benutzern mehr als 60.000 Bände geistes- und sozialwissenschaftlicher Literatur und ca. 350 Arbeitsplätze zur Verfügung. Im ehemaligen Lesesaal wurde im Jahr 2004 ein modern ausgestattetes MultiMediaZentrum mit ca. 45 PC-Arbeitsplätzen eröffnet.

(Maria Effinger, 2005)

Weitere "Gottmann'sche Tafeln" zum Historischen Lesesaal

Baugeschichte: Das Gebäude der Universitätsbibliothek bis zum Ende des 2. Weltkriegs

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