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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

IV. Die Macht der Minne

Die falsche Notzuchtklage der Kaiserin Castelle in der 'Historia septem sapientum', um 1450Herzstück einer Ausstellung über die Entdeckung der Liebe im hohen Mittelalter muss zweifelsohne der Codex Manesse sein, in dem der staufische wie auch der nachklassische Minnesang in einzigartiger und unerreichter Fülle versammelt ist. Die „Große Heidelberger Liederhandschrift” ist jedoch nicht das einzige literarische Zeugnis über die Macht der Minne, das sich in den Tresoren der Universitätsbibliothek Heidelberg erhalten hat: Grund dafür war die Sammelleidenschaft der Pfalzgrafen bei Rhein und ihrer Gemahlinnen vor allem im 15. Jahrhundert. Sie trugen dafür Sorge, dass die zentralen Werke der staufischen Klassik in alten Handschriften erworben wurden.

Den Codex Manesse flankieren mit dem „Welschen Gast” des Thomasin von Zerklaere und dem „Parzival” des Wolfram von Eschenbach zwei weitere ‚Klassiker’. Die drei Handschriften stehen zugleich für die drei Gattungen, in denen die höfische Liebe maßgeblich verhandelt wurde: Minnesang, ritterliche Moral- und Verhaltenslehre und höfischer Roman. Im „Parzival” wird geschildert, wie der in der höfischen Welt unerfahrene Titelheld sich einer Dame gegenüber statt wie ein wohl erzogener Ritter als Tölpel und Dieb verhält: Der im Diskurs der höfischen Liebe geforderte Umgang zwischen Ritter und Dame wird damit als Kunst vorgestellt, deren Spielregeln es erst zu erlernen gilt.

Welche Tugenden ein Ritter zu beweisen hatte, um ein wahrhaft Liebender zu sein, wurde in einer Vielzahl an positiven wie negativen Exempeln immer neu erzählt und diskutiert. Als ‚Leitvorstellungen’ der höfischen Liebe konturierte die Forschung die staete – die Beständigkeit – der Minne, ihre triuwe, das heißt Aufrichtigkeit, und die Gegenseitigkeit des Gefühls, aber auch das rechte Maß. Immer wieder wird die Bereitschaft des Mannes zum Dienst für die Dame – als Bewährung in Turnier und Schlacht wie auch durch Dichtkunst und Gesang – eingefordert. Die im Minnesang omnipräsente Dienst-Lohn-Metaphorik ist geprägt durch den Erfahrungshorizont der adligen Ranghierarchie. Umgekehrt beeinflusste der Minnediskurs nachhaltig den ritterlichen Verhaltenskodex, der auch jenseits der Liebe das gesellschaftliche Zusammenleben des Adels bestimmte.

Die literarische Entdeckung der Liebesthematik resultierte einerseits aus der Rezeption antiker Literatur und romanischer Vorbilder, hier sind als Lehrmeister Ovid und der französische Hofkaplan Andreas Capellanus zu nennen. Andererseits folgte sie einer im religiösen Bereich seit dem 11. Jahrhundert fassbaren Emotionalisierung und Individualisierung der Beziehung des Menschen zu Gott.

Doch auch wenn die Liebestreue ihre Entsprechung in der Lehenstreue zwischen Herrn und Vasall fand und die geistlichen Dichter Maria mit denselben Worten priesen wie die Minnesänger ihre Dame, so unterschied sich der höfische Liebesdiskurs fundamental von anderen gesellschaftlichen Positionen: Im theologischen und kirchenrechtlichen Diskurs wurde der außereheliche Geschlechtsakt, aber auch das Lustempfinden in der Ehe als Sünde gebrandmarkt. Auch im sozialen und gewohnheitsrechtlichen Diskurs ging es weder um Liebe noch um Sexualität, sondern um die Rechte von Vätern und Ehemännern über die Körper ihrer Töchter und Ehefrauen.

Vorschau der Exponate

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