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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
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C. Blüte und Gefährdung in der Weimarer Republik (1919 bis 1933)

I. Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik bezeichnet das Deutsche Reich unter der Verfassung, die in Weimar 1919 von der Nationalversammlung angenommen wurde. Der Zusammenbruch des Kaiserreichs hatte in Folge der Novemberrevolution von 1918 zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten geführt, die sich im Dezember des gleichen Jahres gegen die Räterepublik und für die Errichtung einer parlamentarischen Republik entschieden. Wissenschaft und Kultur erlebten eine Blütezeit, die durch Aufhebung der Zensur möglich wurde.

Die erste Demokratie in Deutschland litt in ihrer Akzeptanz seit ihrer Entstehung daran, dass sie aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg hervorgegangen war. So blieb die Weimarer Republik in den 13 Jahren ihres Bestehens immer anfällig für anti-demokratische Bestrebungen, wobei besonders der Antisemitismus nach 1918 an Mobilisierungspotential gewann. Bereits im Jahr 1922 begannen mit der Ermordung des jüdischen Außenministers Walther Rathenau die Angriffe auf den demokratischen Staat. Die zahlreichen Gegner der Republik bewirkten eine politische Destabilisierung, die, verschärft durch die große Wirtschaftskrise seit 1929, im Januar 1933 zur nationalsozialistischen Machtübernahme und Errichtung eines totalitären Staates führte.

Für die Juden in Deutschland, deren Anteil an der Bevölkerung 0,9% betrug, brachte der neue demokratische Staat formal die faktische Gleichberechtigung, d. h. die Möglichkeit des Aufstiegs in hohe Positionen in Politik und Verwaltung. Gleichzeitig wuchs jedoch durch die Orientierungslosigkeit großer Bevölkerungskreise die Bereitschaft, die „Schuld” am Sturz des - verklärten - alten Systems und an den Unzulänglichkeiten der Republik den Juden als „Revolutions- und Krisengewinnlern” anzulasten. So wurde der Antisemitismus von den bisherigen Führungsschichten und neuen Demagogen gezielt zur Bekämpfung der Staatsordnung eingesetzt.

Der Ruf Heidelbergs als Stätte von Wissenschaft und Forschung wurde durch spezielle Institute gefestigt, von denen zwei in der Weimarer Republik besondere Bedeutung gewannen: das Institut für Experimentelle Krebsforschung und das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften. An beiden Lehr- und Forschungseinrichtungen wirkten jüdische Wissenschaftler in maßgeblichen Positionen.

Das Institut für experimentelle Krebsforschung

Das Institut für Experimentelle Krebsforschung wurde 1906 von Vinzenz Czerny, Heidelberger Professor für Chirurgie, gegründet und bis 1916 von ihm geleitet. Es wurde durch die von ihm ins Leben gerufene Czernystiftung für Krebskranke finanziert und war das bedeutendste unter den frühen Krebsinstituten in Deutschland. Neben dem Institut, das der Forschung diente, errichtete Czerny eine Heil- und Pflegeanstalt für Krebskranke, das „Samariterhaus”.

In den beiden wissenschaftlichen Abteilungen (biologisch-chemische und histo-parasitologische) arbeiteten bedeutende jüdische Wissenschaftler wie Ludwig Hirschfeld, Otto Warburg, Hans Sachs, Ernst Witebsky und Alfred Klopstock. Der Chirurg Richard Werner übernahm nach dem Tod Czernys im Jahr 1916 die Leitung des Samariterhauses. Besondere wissenschaftliche Leistungen erzielten die Krebsforscher auf den Gebieten der Krebsdiagnostik, Immunologie sowie der Blutgruppenserologie.

Nach der Entlassung von Hans Sachs und Ernst Witebsky 1933 wurde die Wissenschaftliche Abteilung des Instituts, die nunmehr verwaist war, 1935 dem Institut für Hygiene angegliedert. Auch das Samariterhaus verlor 1934 seinen Direktor Richard Werner, der nach Brünn in die erzwungene Emigration ging. Dies bedeutete das Ende der frühen Heidelberger Krebsforschung. Es dauerte 30 Jahre, bis mit der Gründung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg 1964 die institutionalisierte Krebsforschung erneut in Gang kam und der Anschluss an die internationale Spitzenforschung wieder hergestellt wurde.

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Das Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften

Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften ging aus dem 1874 gegründeten Volkswirtschaftlichen Seminar hervor und erhielt seinen Namen 1924 von seinem Direktor Alfred Weber. Der neue Name war Programm: die bisherige Nationalökonomie erweiterte ihr Spektrum um staats- und sozialwissenschaftliche Inhalte. Dies war bereits unter dem Begründer der soziologischen Forschung, Max Weber, seit der Jahrhundertwende in Heidelberg initiiert worden und wurde von seinem Bruder Alfred im Sinne der Institutionalisierung der Sozialwissenschaften fortgesetzt.

Zu den besonderen Kennzeichen des Instituts gehörten eine pädagogisch reflektierte akademische Ausbildung, die Vermittlung von Wissenschaft und Öffentlichkeit sowie die republikanisch-demokratische Ausrichtung. Charakteristisch war die sehr liberale und wissenschaftlich innovationsfreudige Atmosphäre. Innerhalb der universitären Institute nahm das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften durch die soziale und politische Orientierung des Lehrkörpers eine Sonderstellung ein.

Als vordringliche Aufgabe betrachtete es Alfred Weber, seinen Studenten eine demokratische Politik- und Staatsauffassung zu vermitteln. Von besonderer Bedeutung war außerdem die erfolgreiche Integrierung jüdischer Dozenten in den Lehrkörper des Instituts; nirgendwo sonst an der Universität war der Anteil jüdischer Wissenschaftler so hoch. Zum Gesamtkollegium, welches in der Zeit von 1918 bis 1933 aus 21 Personen bestand, gehörten insgesamt 12 Dozenten, die Juden oder jüdischer Herkunft waren: Sally Altmann, Marie Baum, Arnold Bergstraesser, Eberhard Gothein, Emil Gumbel, Emil Lederer, Hermann Levy, Karl Mannheim, Jakob Marschak, Edgar Salin, Arthur Salz, Herbert Sultan.

Die nationalsozialistische Machtübernahme bedeutete das Ende des überregional bekannten Instituts in seiner bisherigen Form. Von den zwölf 1933 zum Lehrkörper gehörenden Dozenten wurden drei als „Nichtarier” noch im selben Jahr entlassen: Marie Baum, Jakob Marschak und Arthur Salz. Sally Altmann verstarb im Oktober 1933. Der Direktor Alfred Weber ließ sich aus Protest gegen die neuen Machthaber zum Beginn des Sommersemesters 1933 beurlauben und im August vorzeitig emeritieren. Zwei Jahre später mussten auch Herbert Sultan und Arnold Bergstraesser die Universität verlassen.

Parallel zur personellen Situation änderte sich auch die institutionelle Struktur. Bereits 1933 wurde die Mannheimer Handelshochschule in die Heidelberger Universität integriert und eine eigenständige Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät gegründet, der das Institut angegliedert wurde. Damit ging die zentrale Stellung des Instituts und die Forschungstradition verloren.

1945 übernahm Alfred Weber erneut die Leitung des Instituts, das 1948 in „Alfred-Weber-Institut für Sozial- und Staatswissenschaften” umbenannt wurde, und gestaltete es in Anknüpfung an die Weimarer Zeit zu einer demokratisch und sozial orientierten Ausbildungs- und Forschungsstätte.

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