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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

Jungfrau und Prometheus - Zum Bildprogramm der Universitätsbibliothek Heidelberg

HaupteingangDas Heidelberger Gebäude ist unter den Bibliotheksneubauten der Jahrhundertwende im deutschsprachigen Raum der einzige mit einem ikonographisch weitgefaßten Konzept. Das künstlerische Programm soll den Besuchern der Bibliothek zum einen das Wesen von Wissenschaft und Künsten verdeutlichen. Zum anderen sollen ihnen aber auch die Grenzen, die der menschlichen Erkenntnis durch die göttliche Vorsehung gesetzt sind, vor Augen geführt werden.

Die Hauptfassade des Südflügels

Die Devise des Architekten „Des Körpers Form sei seines Wesens Spiegel“ wird besonders an der zweigeschossigen Hauptfassade des Südflügels deutlich. Sie gliedert sich in einen fünfachsigen, von zwei dreiachsigen Seitenteilen flankierten Mittelbau. Die Ecken werden asymmetrisch von einem Erkerbau und dem prominenten Rundturm bereichert, die jeweils zu den Seitenfronten überleiten. Eine vertikale Verbindung dieser Bauelemente wird durch die einheitliche Gesimshöhe geschaffen. Zur weiteren Gliederung sind korinthische Dreiviertelsäulen eingesetzt. Sie ruhen auf Jungfrauenköpfen, die nach Durm „sprossende Naturkräfte“ versinnbildlichen.

Durm selbst bezeichnete den durch Säulen und große Sandsteinskulpturen flankierten, mit einer schmiedeeisernen Tür versehenen Haupteingang, über dem der pfälzische Löwe und das Schild „Universitätsbibliothek“ angebracht sind, stolz als „Prachtportal zu den Schätzen der Wissenschaft“.

Prometheus mit dem Adler, gefesselt an die linke Eingangsseite, und die halbverschleierte Jungfrau rechts stehen dabei für Forschung und Lehre als Aufgaben der Wissenschaft: Prometheus brachte den Menschen gegen den Willen des Göttervaters das Feuer, also Wissen und Erkenntnis. Damit verstieß er gegen das göttliche Gebot und durchbrach die geltende Ordnung, worauf er von Zeus bestraft wurde. Der gefesselte Prometheus und der ihn peinigende Adler erinnern somit an die Grenzen menschlicher Erkenntnis. Hingegen ist die halbverschleierte Jungfrau, die dem sitzenden Knaben zu ihren Füßen ihr Wissen mitteilt, als Versinnbildlichung der Wahrheit aufzufassen, die sich dem Forschenden enthüllt. Das Thema von Widerstand und Unterwerfung wird auch in den Reliefs der Giebelzwickel aufgegriffen: Sie zeigen den Sturz der Giganten, die sich vergeblich gegen Ordnung und Gesetz auflehnen.

Hauptfassade des SüdflügelsAuf einen weiteren Aspekt spielt das durchaus noch in der Tradition barocker Herrscherhuldigungen stehende, großherzoglich-badische Wappen an, das über den großen Fenstern des Mittelteils prangt. Es ist mit der vergoldeten Inschrift: „A[nn]o Do[mini] 1905 – ERBAUT UNTER GROSSHERZOG FRIEDRICH“ versehen. Die hier unter dem repräsentativen Wappen angebrachten Masken von Komödie und Tragödie, Embleme humanistischer Bildung, nehmen dabei deutlich und öffentlichkeitswirksam auf die positive Rolle des badischen Landesfürsten als eifrigen Förderer der Künste und Wissenschaften Bezug.

Die Dreiecksgiebel der Seitenteile zeigen Medaillons mit den Reliefs der Namensgeber der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität: links das Porträt von Kurfürst Ruprecht I. von der Pfalz (1309-1390), dem Begründer der Universität, rechts das des Großherzogs Karl Friedrich von Baden (1747-1811), dem ersten Schirmherr und „Sponsor“ der Universität seit der Zugehörigkeit Heidelbergs zum Großherzogtum Baden.

Den krönenden Abschluß des Bildprogramms Hauptfassade bildet inhaltlich wie räumlich der zuoberst am Giebel angebrachte vollplastische Kopf von Pallas Athene, der Göttin der Weisheit und Beschützerin von Wissenschaft und Künsten. Ihr Bildnis wird sinnergänzend flankiert von Eulen, weiteren Symbolen der Weisheit.

Die Giebel der Ost- und Westfassade

Giebel der OstfassadeDer Giebel der Ostfassade zur Grabengasse hin zeigt das Haupt des Weltgeistes, gerahmt von Blütengirlanden und Blattwerk, das als Lebensbaum interpretiert wird. Darüber ist die Weltkugel als Symbol des universalen Geistes zu sehen, über der halbkreisförmig neun Sterne angeordnet sind. Auf den Konsolen findet sich auch hier je eine Eule.

Plastisch weniger stark gegliedert als der Giebel der Ostseite ist der an der Westfassade. Die vom Heidelberger Oberbibliothekar Karl Zangemeister (1837-1902) vorgeschlagene Inschrift „Timor dei initium sapientiae“ („Die Gottesfurcht ist der Anbeginn der Weisheit“), die sich der vorangehenden Deutung gut eingefügt hätte, kam nicht zur Ausführung. Stattdessen wurde auf Veranlassung Jakob Willes, der nach dem Tod Zangemeisters die Leitung der Institution übernommen hatte, das einer Bibliothek zwar gemäße, jedoch dem Kontext nicht entsprechende Motto „Inter folia fructus“ („Zwischen den [Buch]seiten die [Erkenntnis]frucht“) ausgewählt.

Rechts und links der Giebelfenster befinden sich zwei Greifenreliefs und Mädchenköpfe. Der Giebelabschluß ist ornamental gestaltet, auf der Giebelspitze thront frei eine Sphinx, das rätselhafte Fabelwesen, das dem Vorbeikommenden das Lebensrätsel aufgibt, dessen Lösung jedoch für sich behält. Dabei stehen die mythischen Greifen für den Bereich des Aberglaubens, der durch die aufklärerische Wissenschaft überwunden wurde.

Das Gebäudeinnere

Im Gebäudeinneren wurde in den öffentlich zugänglichen Räumen das ikonographische Programm der Fassaden fortgeführt. Allerdings sind durch die Umbauarbeiten in den fünfziger Jahren große Teile (u.a. Stukkaturen und Lampen) des ursprünglich realisierten Dekorationsprogramms unwiederbringlich zerstört worden.

Einen Eindruck von der prächtigen Ausgestaltung des ehemaligen Lesesaals, die damals komplett entfernt wurde, können daher nur noch historische Photoaufnahmen vermitteln. In reicher Stukkatur waren allegorische Darstellungen der Fakultäten (Theologie, Philosophie, Jurisprudenz, Medizin und Naturwissenschaft), ergänzt durch Medaillons mit Bildnissen Heidelberger Professoren angebracht. Über einer der Türen befindet sich ein von zwei geflügelten Gestalten gehaltenes Medaillon-Doppelporträt des Landesherrn, Großherzog Friedrich I. von Baden (1826-1907) und des Großherzogs Karl Friedrich.

Während sich die Außenfassade auf die Wissenschaft, also die Universität ganz allgemein bezieht, wird im Inneren des Gebäudes das menschliche Wissen in einzelne Fakultäten gegliedert, deren allegorische, sich z.T. aufeinander beziehende Darstellungen den gesamten Raum umschließen. Diese Einteilung entsprach damals zugleich dem Ordnungsprinzip für die Aufstellung der Bücher. Differenziert in die verschiedenen Disziplinen wissenschaftlicher Forschungsrichtungen stehen sie in ihrer Gesamtheit dabei unter dem Schutz jener Träger der politischen Ordnung, deren Portraits die Eingangstür zum Lesesaal zieren.

(Maria Effinger, 2005)

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