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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

I. Im Spiegel der Bücher:
Von der Fälschung im Allgemeinen zur Fälschung (in) der Kunst

Die Omnipräsenz des Fake

Martin Doll: Fälschung und Fake. Zur diskurskritischen Dimension des Täuschens, Berlin 2012 (Kat.-Nr. I.8)

Fälschungen und Bücher weisen eine Parallele auf, die häufig nicht beachtet wird: Sie fungieren beide als Spiegel der Themen und Werte, die einer Gesellschaft wichtig sind: Gefälscht wird nur, was wertvoll ist, und als wertvoll wird erachtet, was einer Gesellschaft gerade wichtig ist. Eben dies wird von Büchern zum Thema gemacht und dort dann verhandelt, so dass ein Blick in ältere und neuere Publikationen Auskunft darüber geben kann, was eine Gesellschaft hinsichtlich der Themen und Werte jeweils gerade bewegte und bewegt. Mit dem hier gewählten Thema „Fälschungen und Bücher“ verschränken und durchdringen sich mithin zwei solcher „Spiegel der Gesellschaft“. In der Tat zeigt schon ein Blick auf einige Fälschungen im Allgemeinen gewidmete Bücher, dass man auf Fälschungen in den verschiedensten Lebensbereichen stoßen kann: „Politik, Literatur, Wissenschaft, Kunst und Musik“ nennt das von dem Tübinger Rundfunkjournalisten, Literaturkritiker und Schriftsteller Karl Corino herausgegebene Buch Gefälscht!. Auf Fälschungen allein des Mittelalters fokussierte sich zwar ein 1986 vom Deutschen Institut für Erforschung des Mittelalters, „Monumenta Germaniae Historica“, in München veranstalteter internationaler Kongress – trotz seiner thematischen zeitlichen Beschränkung füllten die zwei Jahre später erschienenen Kongressakten dann jedoch insgesamt sechs Bände mit 3730 Druckseiten, verfasst von mehr als 150 Beiträgern. Allein diese Zahlen vermögen eine Ahnung von der Fülle der dort verhandelten Themenbereiche und erörterten Materialien zu geben. Angesichts dessen bestätigt sich, was der Luxemburger Kultur- und Medienwissenschaftler Martin Doll, Verfasser des 2012 erschienenen Bandes Fälschung und Fake. Zur diskurskritischen Dimension des Täuschens schreibt: „Man kann Fälschungen […] als Erkenntnisgegenstände betrachten […]“. In eben diesem Sinn werden sie auch in dem von der Grazer Germanistin Anne-Kathrin Reulecke 2006 herausgegebenen Band Fälschungen. Zu Autorschaft und Beweis in Wissenschaften und Künsten gehandhabt, indem nach dem epistemischen Potential der Fälschung gefragt wird: Was zum Beispiel lehren uns Fälschungen über die Beschaffenheit und das Funktionieren der jeweils davon betroffenen Bereiche und Disziplinen? Noch eine weitere Perspektive nimmt der amerikanische Frühneuzeit-Historiker Anthony Grafton in seinem Buch Forgers and Critics ein, denn er rekonstruiert das Verhältnis zwischen den Kritikern, also den Experten, und den Fälschern im Verlauf der Geschichte als eine Art Wettrennen, das zugleich als Triebkraft wissenschaftlichen Fortschritts fungiert: Um die Experten täuschen zu können, müssen die Fälscher über deren Wissen verfügen; die Experten wiederum müssen daraufhin wieder ihr Wissen erweitern, um die Fälscher zu entlarven etc.

Die Geschichte(n) der Kunstfälschung

Maisie Maud Broadhead:
Hall of Fake (Detail: Maisie Broadhead), Digitaldruck, 2010 (Kat.-Nr. I.9)

Ab Ende des 19. Jahrhunderts lag mit Paul Eudels 1884 erschienenem Band Le truquage. Les contrefaçons dévoilées erstmals eine ausschließlich Fälschungen gewidmete Buchpublikation vor. Dieses Buch ist auch insofern ein Novum, als in ihm das Phänomen der Kunstfälschung erstmals eindeutig negativ gewertet wird: Eudel bezeichnet Fälschungen als „dauerhafte Gefahr für die ehrlichen Händler und die noch zu unerfahrenen Amateur-Sammler“ und beschimpft die Fälscher als „Parasiten“. Als eine Art englischsprachiger, erweiternder Aktualisierung dieser äußerst erfolgreichen Publikation gedacht und sicherlich auch angeregt durch den sensationellen Prozess um den Vermeer-Fälscher Han van Meegeren, der 1946 zu Ende ging, legte 1948 der aus Wien stammende Kunsthistoriker Otto Kurz sein Buch Fakes: A Handbook for Collectors and Students vor. Im Unterschied zu Eudel jedoch, der mit Ausnahme chinesischen und japanischen Porzellans fast ausschließlich westliche Kunstobjekte diskutiert, thematisiert Kurz, neben chinesischen Bronzen und Keramiken, auch persische Silberobjekte und islamische Glaskunst als mögliche Betätigungsfelder für Fälscher. 1959 legte der Schriftsteller und Journalist Frank Arnau (zunächst Pseudonym und dann angenommener Name des 1894 bei Wien geborenen Deutsch-Schweizers Heinrich Karl / Harry Charles Schmitt) das Buch Kunst der Fälscher – Fälscher der Kunst vor. Es fungiert dabei gewissermaßen als eine Art Scharnier hinsichtlich der Literatur über Fälschungen, denn Arnau behandelt – dem Titel gemäß – wie vor ihm Eudel und Kurz zunächst allgemeine Fälschungsfälle, ehe er sich sodann einzelnen Fälscherbiografien zuwendet. Im Unterschied zu Eudel und Kurz richtet er sich damit auch weniger an Experten und Sammler als vielmehr an ein allgemeines Publikum. Die damit eröffnete Fokussierung auf die Biografien einzelner Fälscher wird dann in den Büchern von Joachim Goll (1962), Susanna Partsch (2010), Thierry Lenain (2011), Jonathon Keats (2013) und Noah Charney (2015) fortgesetzt und verstärkt. Wie bei den Büchern von Corino und Köhler lässt sich dabei eine Art Kanonisierung beobachten: Mit Arnaus Buch wird eine sich im Laufe der Zeit stetig verlängernde Liste der Fälscher eröffnet, die offenbar in keinem dem Phänomen der Fälschung gewidmeten Buch fehlen dürfen. Auch im Ausstellungswesen fand die Fälschungsthematik ab den 50er Jahren, wohl noch in Gefolge des van Meegeren-Skandals, ein zunehmend größeres Echo, wie die Ausstellungskataloge Fälschung und Forschung von 1977 und Fake? The Art of Deception von 1990 zeigen.

Mittlerweile nehmen sich auch Künstler des Phänomens der Fälschung und ihrer Protagonisten an, wie die „Hall of Fake“ der britischen Künstlerin Maisie Broadhead zeigt.

Dichtung und Wahrheit:
Die Autobiografien realer Fälscher und die Biografien erfundener Künstler

Ken Perenyi: Caveat Emptor. The Secret Life of an American Art Forger, New York u.a. 2012 (Kat.-Nr. I.23)

Da es den Autoren von Autobiografien stets darum geht, dem eigenen Lebenslauf einen Sinn zu geben, das heißt, ihn zu erklären und damit auch zu rechtfertigen, sind sie hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes mit Skepsis zu behandeln: Dass sich diese Selbstdarstellungen tatsächlich zwischen „Dichtung und Wahrheit“ bewegen, wird auch daraus ersichtlich, dass sich ihre Autoren gewisse Motive zu eigen machen, die es bereits in der fiktionalen Erzähl-Literatur des 19. Jahrhunderts über Fälscher gab und die Otto Kurz schon 1948 als Klischees in Autobiografien entlarvte. Darüber hinaus lassen sich übergreifend bestimmte Motive immer wieder antreffen: Eric Hebborn, Wolfgang und Helene Beltracchi sowie Ken Perenyi– sie alle machen die Kunstexperten und den Kunstmarkt mit dafür verantwortlich, dass sie zu Fälschern wurden bzw. als solche tätig blieben. Perenyi suggeriert sogar, dass die Ermittlungen gegen ihn nicht zuletzt auch durch die von ihm betrogenen Auktionshäuser und Kunsthändler behindert und verschleppt worden seien, um auf diese Weise eine Schädigung des eigenen Rufes zu vermeiden. Er informiert daher auf der letzten Seite seines Buches selbstbewusst und ohne Scham oder Reue: „Ken Perenyi continues to paint his fakes“. In ähnlicher Weise präsentieren Hebborn und die Beltracchis sich in ihren Autobiografien stolz als Kunstfälscher, die souverän, talentiert und mit großem technischem Wissen agieren. Im Falle der Beltracchis wird dies noch durch einen 2014 von dem Berliner Literaturkritiker und Autor Jörg Magenau herausgegebenen Band mit Gefängnisbriefen des Paares sekundiert, der nicht von ungefähr zeitgleich mit der Autobiografie erschien, und der als deren Fortsetzung und Vertiefung in chronologischer wie strategischer Hinsicht verstanden werden sollte: Wie die Lebensdarstellung dient auch die Veröffentlichung der zwischen den Beltracchis ausgetauschten Schreiben dazu, Verständnis und Sympathie für das Paar zu erwecken: Mochte dieses den Kunstmarkt auch mit Fälschungen getäuscht haben, so wird nun die Authentizität und Echtheit der in den Schreiben geäußerten Gefühle betont. Gewissermaßen noch einen Schritt weiter von der in solchen Autobiografien enthaltenen Fiktion geht die Gattung der erfundenen Künstler, die sowohl als literarische Strategie wie auch als „Hoax“ genutzt wird: Sowohl der in der 1998 erschienenen Biografie des britischen Schriftstellers William Boyd vorgestellte Künstler Nat Tate als auch insbesondere der 1958 in der Monografie des in Paris geborenen spanischen Schriftstellers Max Aub porträtierte Maler Jusep Torres Campalans wurden, obgleich von beiden Autoren erfunden, zunächst für reale Personen gehalten. In der im Jahr 2000 von dem belgischen Publizisten Koen Brams herausgegebenen Enzyklopädie fiktiver Künstler von 1605 bis heute wird den dort aufgeführten fiktiven Künstlern augenzwinkernd der ihnen ansonsten abgesprochene Realitätsgehalt wieder zuerkannt. Wie sehr sich diese Gattung erfundener Künstler letzten Endes wieder mit der realen Kunstfälschung verschränkt, wird anhand des angeblich seit 1990 wiederentdeckten deutschen Künstlers Karl Waldmann deutlich, von dem in letzter Zeit geargwöhnt wird, dass er nur erfunden wurde, um gefälschte Collagen der 20er bis 50er Jahre vermarktbar zu machen.

Das Bild des Fälschers in Romanen und Filmen

Der 1946 erschienene Roman Emmaus der Schriftstellerin Marie Louise Doudart de la Grée fungiert als Schnittstelle zwischen dem Bild des Fälschers, wie es in (Auto-)Biografien auf der einen und in Romanen und Filmen auf der anderen Seite gezeichnet wird. Hierbei gibt es zwischen beiden Gattungen durchaus auch Beziehungen, denn Fälscher rekurrieren bei der Erzählung ihrer Lebensgeschichte häufiger auf Motive und Motivationen, die zuvor in der fiktionalen Literatur entwickelt wurden. Eben diese wurden in dem 2006 von der amerikanischen Literatur- und Filmwissenschaftlerin Aviva Briefel vorgelegten Buch anhand von Romanen und Erzählungen des 19. Jahrhunderts untersucht: Sie kann aufzeigen, dass dem Fälscher dort eine gewisse „Unschuld“ an seinen Taten attestiert wird: Entweder er ist nicht Herr seiner Sinne oder er wird von einem verschlagenen Kunsthändler betrogen oder aber er wird sogar direkt von diesem auf dämonische Weise verführt bzw. zum Fälschen gezwungen. Eben diese Muster findet man bis heute in Literatur und Film: Angefangen bei Walther Harichs Roman Der Kunstfälscher aus dem Jahre 1930 über Barbara A. Shapiros Buch The Art Forger von 2012 bis hin zu Lawrence Roecks fast gleichnamigem Film aus demselben Jahr. Zuweilen nehmen sich die dabei entwickelten Szenarien recht exotisch aus: In Michael Grubers 2008 erschienenem Roman The Forgery of Venus muss der Protagonist Chaz Wilmot nach dem Willen des Autors sogar eine durch Drogen provozierte, unkontrollierte Zeitreise in den Körper des spanischen Barockmalers Velázquez unternehmen, um Wilmot vom eingangs erhobenen Verdacht der Fälschung zu befreien, denn solcherart mit dem Körper von Velázquez verschmolzen, malt Wilmot ganze Bilder in das Œuvre des Meisters hinein. Hinter diesen literarischen Versuchen, den Fälscher gewissermaßen vor sich selbst in Schutz zu nehmen, steht offenbar das Bestreben, das Reich der Kunst als ideal, hehr und rein erscheinen zu lassen: Die im Mittelpunkt stehenden Künstler dürfen daher nicht aus freien Stücken zu Fälschern werden, sondern müssen von dem als pragmatisch-zynische Gegenwelt gezeichneten Kunstmarkt erst dazu gezwungen werden. Eine Ausnahme stellt hier ein Roman wie der von James King aus dem Jahr 1999 dar, in dem der Fälscher – ganz im Tonfall des realen Fälschers Eric Hebborn – seinen Stolz auf sein Handwerk nicht verbirgt. Ebenfalls in diese Richtung, wenngleich parodistisch gewendet, weist Wolfgang Hildesheimers Roman Paradies der falschen Vögel von 1953. Noch einmal ganz anders liegt schließlich der Fall bei der zwei Jahre vorher erschienenen Erzählung Der Fälscher des japanischen Schriftstellers Inoue Yasushi: Im Mittelpunkt steht hier ein Fälscher, der nicht nur aus freien Stücken fälscht, sondern seine Fälschungen sogar selbst verkauft. Obgleich zu beachten ist, dass das Fälschen auch hier letzten Endes als etwas tendenziell Negatives angesehen wird und Inoue häufiger Helden präsentiert, die auch in Japan als befremdlich empfunden werden, könnte es dennoch sein, dass das in der Erzählung manifeste neutralere Verhältnis gegenüber dem Phänomen der Fälschung auch daher rührt, dass die ostasiatische Kunsttradition ein komplexeres Verhältnis zu Klassifikationen wie Original, Kopie und Fälschung hat. Die damit begünstigten begrifflichen, facettenreichen Zwischenräume und Mischformen, wie sie auch in Der Fälscher thematisiert werden, könnten auch darin begründet liegen, dass das Hauptgewicht hier eher auf die Adaption und Aneignung altehrwürdiger Vorbilder als auf Eigenschöpfung gelegt wurde.

„Das Auge ist der Richter“?
Zur Diskussion der adäquaten Methoden bei der Aufdeckung von Fälschungen

Ernst Schöller (Red.) / Galerie Albstadt (Hrsg.) / Graphikmuseum Pablo Picasso, Münster (Hrsg.): Wa(h)re Lügen. Original und Fälschung im Dialog, Stuttgart 2007 (Kat.-Nr. I.37)
Christopher Wright: The Art of the Forger, London u. a. 1984 (Kat.-Nr. I.39)

In dem Maße, in dem Fälschungen zunehmend als Problem und Herausforderung erkannt wurden, wuchs auch die Diskussion darum, wie man sie am besten entlarven könnte. Bereits Paul Eudel liefert in seinem 1884 erstmals veröffentlichten Buch eine Reihe von Fallbeispielen, die jedoch von Otto Kurz als zwar „highly entertaining and wittily told“, aber zu wenig faktenbezogen kritisiert werden. Kurz beginnt sein eigenes Buch daher mit einer Darstellung der verschiedenen naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden für Gemälde, ehe er sodann sukzessive die verschiedenen Gattungen und Techniken der Kunstgeschichte im Hinblick auf die von ihm dokumentierten Fälschungen vorstellt.

Bei der Sichtung der im weiteren Verlauf erschienenen Literatur zu dem Thema wird deutlich, dass die von Eudel propagierte „Erfahrung“ oder das Vertrauen auf eine rein auf einem guten Auge basierenden Stilkritik, wie sie von dem englischen Kunsthistoriker Christopher Wright praktiziert wird, nicht ausreichten, da auch erfahrene Kunstkenner fehlbar sind, wie insbesondere der Fall Jawlensky 1998 anschaulich demonstriert: Aus einem Konvolut von rund 600 im Jahre 1994 auf undurchsichtigen Wegen in den deutschen Kunsthandel gekommenen und dem russischen Expressionisten Alexej von Jawlensky zugeschriebenen Aquarellen und Zeichnungen wurde im Museum Folkwang Essen unter dem Motto „Das Auge ist der Richter“ eine Auswahl präsentiert, um anhand einer Gegenüberstellung der Blätter mit gesicherten Gemälden zu einer Entscheidung über den Status der Neuentdeckungen zu gelangen. Diese waren freilich von dem Kunsthistoriker Michael Bockemühl und dem Museumsdirektor Georg W. Költzsch zuvor schon als authentisch akzeptiert und entsprechend gehängt worden. Aber: „Das Auge des Richters war blind“, titelte im Februar 1998 die Zeitung Die Welt, denn die ausgestellten Werke erwiesen sich als falsch. „Mit bloßem Kennerblick sind Original, Replik und Fälschung kaum zu unterscheiden. Gefragt sind mehr denn je die Archivare“, fasste Der Spiegel die Problematik im März 1998 zusammen und wies auf die Wichtigkeit einer ausgiebigen Provenienzforschung hin. Wie jedoch der Fall Drewe /Myatt zeigt, können selbst Provenienzen gefälscht werden, weshalb letzten Endes für eine Vielfalt anzuwendender Methoden zu plädieren ist, zu denen auch eine eingehende Überprüfung eines fraglichen Werks, auch und gerade im Hinblick auf dessen technische Faktur, gehört, wie sie von Ernst Schöller, Kriminalhauptkommissar a.D., praktiziert wurde und gelehrt wird. Dass zuletzt jedoch auch dann noch immer Fragen offenbleiben können, zeigt die Londoner Ausstellung A Closer Look. Deceptions and Discoveries von 2010, in der Werke präsentiert wurden, über deren Status als Original oder Fälschung bislang keine eindeutigen Aussagen gemacht werden können. Wichtig erscheint zuletzt, dass aktuell der forschende Blick auch weg von der alleinigen Fixierung auf die Werke und stattdessen hin auf die Rezipienten, die sich von Fälschungen täuschen lassen, geht. So hat eine im Sommer 2015 an der Universität Heidelberg durchgeführte psychologische Untersuchung gezeigt, dass sich auch im Bereich der Fälschungen der so genannte, in der Psychologie aus anderen Zusammenhängen bereits bekannte „Rückschaufehler“ beobachten lässt, die eventuell mit dazu beitragen könnten zu erklären, weshalb Fälschungen immer wieder erfolgreich sein können.

(Natur-)Wissenschaftliche Methoden der Fälschungsforschung

Mit dem technischen Fortschritt in den Naturwissenschaften erkannte man im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch zunehmend die Möglichkeit, sich deren Methoden sowohl bei der Restaurierung als auch bei der Untersuchung von Kunst­objekten zunutze zu machen. Die Person des Malers, Restaurators und Kunstexperten Simon Horsin-Déon, der in Paris als Restaurator für die französischen Nationalmuseen tätig war, zeigt freilich auch die Schattenseiten so gewonnenen Wissens – denn Horsin-Déon betätigte sich auch als jemand, der (wie rund 100 Jahre nach ihm Josephus Maria Vander Veken) selbst zweitklassige Gemälde so „aufpolierte“, dass sie anschließend als Spitzenwerke verkauft werden konnten. In seinem 1851 veröffentlichten Buch De la conservation et de la restauration des tableaux informiert er seine Leser – neben Hinweisen zur seriösen Restaurierung – auch darüber, welche technischen Kniffe und Tricks bei Verfälschungen anzuwenden seien, weshalb sein Buch passagenweise geradezu wie ein Vorläufer von Eric Hebborns 144 Jahre später erschienenem Art Forger’s Handbook (Kat.-Nr. III.3) anmutet. Eben vor solchen wie anderen Täuschungspraktiken warnt Paul Eudels 1884 erstmals erschienene Schrift Le truquage. Les contrefaçons dévoilées, mit der erstmals ein ausschließlich dem Thema Fälschungen gewidmetes Buch vorlag. Dieses war so erfolgreich, dass es bis in das frühe 20. Jahrhundert – in verschiedenen Sprachen – immer neu und aktualisiert aufgelegt wurde: 1947 erschien das Buch zum Beispiel in einer zehnten und um sieben Kapitel erweiterten Neuauflage in Wien auf Deutsch unter dem Titel Fälscherkünste in einer Bearbeitung des österreichischen Kunsthistorikers Arthur Roessler. Freilich konnten selbst eine so rasche Folge von Aktualisierungen nicht mit der rasanten Entwicklung im Bereich der Kunstfälschung Schritt halten, so dass Maßnahmen als notwendig erachtet wurden, um schneller über die Methoden der Fälscher und zirkulierende Fälschungen zu informieren. 1898 wurde auf Initiative unter anderem des Züricher Kunsthistorikers Heinrich Angst der „Internationale Verband von Museumsbeamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren“ gegründet. Ab seinem Gründungsjahr erschienen die Sitzungsprotokolle und Beschlüsse der sich regelmäßig in verschiedenen europäischen Großstädten versammelnden Mitglieder, ab 1899 veröffentlichte der Verband zudem die „Mitt(h)eilungen des Museen-Verbandes, als Manuscript für die Mitglieder gedruckt und ausgegeben“. Hier informierten sich die Mitglieder gegenseitig über gerade akute Fälschungsfälle sowie den Kenntnisstand in Bezug auf ältere und noch aktive Fälschungsproduktionen. Um die einzelnen Werke leichter erkennbar und zudem auch mitein­ander in Verbindung zu bringen, wurden die Fälschungen mit Archivnummern versehen, Abbildungen von ihnen angefertigt und häufig auch zu Vergleichszwecken Illustrationen der entsprechenden aussagekräftigen Originale gegenübergestellt. Welche großen Fortschritte die naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden gemacht hatten, kann daran ersehen werden, dass sich ab 1884 mit den „Technischen Mitteilungen für Malerei“ eine eigene, bis 1943 erscheinende Zeitschrift diesem Themenbereich widmete. Das dort entfaltete Wissen wurde 1922 von Max Doerner, einem Maler, Restaurator und Professor für Maltechnik an der Akademie der Bildenden Künste in München, in seinem Buch Malmaterial und seine Verwendung im Bilde zusammengefasst, das, wie Eudels Buch, zu einem bis heute beständig wiederaufgelegten Klassiker avancierte. Freilich konsultierten auch die Fälscher dieses wichtige Fachbuch immer wieder, um sich Wissen über historisch adäquate Materialien und Techniken anzueignen. Einen entscheidenden weiteren Schritt machte die Forschung 1928 mit der Doktorarbeit des Restaurators und Chemiker Angentius Martinus de Wilds Het natuurwetenschappelijk onderzoek van schilderijen („Naturwissenschaftliche Gemäldeuntersuchung“), die auch in englischer und deutscher Übersetzung erschien. In diese Richtung weisen auch die bis in jüngste Zeit hinein erschienenen Publikationen, die sich ebenfalls der Erforschung historischer Maltechnik wie auch spezifisch den Methoden der Fälschungserkennung widmen.

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