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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
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D. Ausgrenzung und Vertreibung in der Zeit des Nationalsozialismus (1933-1945)

Die Zeit des Nationalsozialismus

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bedeutete das Ende der ersten deutschen Republik. Der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die bei den Wahlen im Sommer 1932 zur stärksten Fraktion im Reichstag geworden war, gelang unter Hitlers Führung, anfänglich mit Hilfe der Konservativen, innerhalb eines Jahres durch Außerkraftsetzung der Grundrechte und wesentlicher Elemente der Reichsverfassung die Errichtung einer Diktatur. Über das Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich, die verordnete Auflösung der Gewerkschaften und Parteien, die gesetzliche Verankerung der NSDAP als Staatspartei sowie Hitlers Installation als Führer und Reichskanzler nach dem Tod des Reichspräsidenten Hindenburg vollendete sich 1934 der Umbau Deutschlands zum totalitären Staat. Das Ende der Rechtsstaatlichkeit bedeutete gleichzeitig das Ende der Gleichberechtigung der deutschen Juden, die juristisch 1869 fixiert worden war. Der Antisemitismus wurde Staatsdoktrin und bekam so seine vernichtende Schlagkraft. Bereits die ersten staatlichen Maßnahmen veranlassten Leo Baeck zu der Erkenntnis, dass die tausendjährige Geschichte des deutschen Judentums beendet sei.

Die Juden betreffenden Gesetze der Jahre 1933 bis 1941 zielten auf eine fortschreitende Ausgrenzung aus der bürgerlichen Gesellschaft. Entlassung aus Ämtern und Annullierung erworbener Rechte, Berufsverbote, Boykotte, Enteignung des Vermögens, Entzug des Staatsbürgerrechts, äußere Stigmatisierung, Ghettoisierung und Ausbürgerung entrechteten die Juden bis 1939 und schlossen sie aus allen Bereichen des politischen, kulturellen und sozialen Lebens aus. Bei Kriegsbeginn lebte nur noch die Hälfte der ursprünglich 500.000 Juden in Deutschland. Die planmäßige Vernichtung begann im Herbst 1941.

Das Konzept der schrittweisen Entrechtung verfehlte seine Wirkung nicht. Die Christen duldeten zunächst die Diskriminierung und schließlich die Deportation ihrer jüdischen Nachbarn und Mitbürger, zu denen sich seit 1933 eine wachsende Distanz einstellte. Solidarität, Schutz oder Hilfe erfuhren die Verfolgten nur in Einzelfällen, denn der Sinn für das Verbrecherische der Entrechtung - handelte es sich doch bei den Gesetzen um „legale” Maßnahmen - war den meisten Deutschen verloren gegangen. Außerdem trug der seit langem virulente bürgerlich-emotionale Antisemitismus zum Gelingen der Ausgrenzung bei.

Für die Universität Heidelberg war 1933 die Epoche des „lebendigen” Geistes beendet - es begann die Ära des „deutschen” Geistes. Das Profil der traditionell liberalen, weltoffenen und wissenschaftlich herausragenden Hochschule änderte sich unter dem rechtsextremen Einfluss - insbesondere der Studenten - zu einer an die nationalsozialistische Theorie und Praxis angepasste Universität. Bereits in den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte die Heidelberger Hochschule antisemitischen Angriffen wenig entgegenzusetzen, als nationalsozialistische Studenten die Entlassung des jüdischen Statistikprofessors Emil Gumbel bewirkten und die Einweihung des mit amerikanischen Spendengeldern gebauten neuen Vorlesungsgebäudes als Ausdruck „jüdischen Mammons” verunglimpften.

Der Radikalität eines großen Teils der Heidelberger Studenten stand die national-konservative und auch liberale Gesinnung der Professorenschaft gegenüber. Die Zahl der mit der nationalsozialistischen Bewegung offen sympathisierenden Hochschullehrer war in Heidelberg gering. Zu Beginn des Jahres 1933 gehörte kein einziger Ordinarius der NSDAP an; lediglich der Klassische Philologe und außerordentliche Professor Eugen Fehrle war seit 1931 Parteimitglied. Auch die aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Professoren Friedrich Endemann (Jura) und Philipp Lenard (Physik), der bereits 1922 aus Anlass der Beerdigung Walther Rathenaus einen antisemitisch motivierten Skandal provoziert hatte, unterstützten die NSDAP.

Die sofort nach der Machtübernahme in Gang gesetzten „Säuberungen” an der Universität betrafen Lehrkörper und Studentenschaft. Seit April 1933 wurden zahlreiche Gesetze und Verordnungen erlassen, die auf den allmählichen Ausschluss der jüdischen (oder auch politisch unerwünschten) Universitätsmitglieder zielten. Die Zahl der jüdischen Studenten verringerte sich von 180 im Sommersemester 1933 auf 5 im Jahr 1937. Im folgenden Wintersemester gab es keinen jüdischen Studenten mehr an der Universität. Die sogenannten „Mischlinge” waren unter bestimmten Voraussetzungen weiter zugelassen; im Juli 1944 waren noch 29 von ihnen eingeschrieben.

Die Universität Heidelberg wurde in ihrem Personalbestand schwer getroffen. In drei Phasen von 1933 bis 1940 wurden insgesamt 59 habilitierte Hochschullehrer aus „rassischen” oder „politischen” Gründen entlassen, das entspricht 29% des Lehrkörpers (im Reichsdurchschnitt waren es 14,3%). In der Gruppe der beamteten Professoren waren sogar knapp 40% von Entlassung betroffen.

Die drohende Entfernung von jüdischen Ärzten aus den Kliniken und Instituten veranlasste die Medizinische Fakultät am 5. April 1933 zu einer schriftlichen Stellungnahme gegen die geplante Ausschließung ihrer jüdischen Kollegen. Auch die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät äußerte sich gegen die Kündigungen und stellte den jüdischen „Rassebegriff” in Frage. Eine entschiedene Solidarisierung blieb jedoch aus - die Bereitschaft zur Unterwerfung unter das neue „Recht” überwog.

Zur institutionellen Gleichschaltung wurde bereits 1933 an der Universität das „Führerprinzip” eingeführt, das die seit Gründung der Universität 1386 geltende Autonomie der Hochschule damit abschaffte. Die jahrzehntelange Heidelberger Blütezeit der Forschung und Lehre ging mit ihren vertriebenen Universitätsangehörigen zu Ende. Rechtsstaatlichkeit und Humanität waren dem nationalsozialistischen Geist geopfert worden.

Vertriebene Hochschullehrer: Gesetzliche Grundlagen der Entlassungen

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Die Universität 1936

1936 feierte die Universität Heidelberg ihr 550jähriges Bestehen. Dieses Jubiläum war Anlass für die Selbstdarstellung als nationalsozialistische Hochschule. Auch ausländische Universitäten beteiligten sich an der Feier; nur die britischen blieben den Festlichkeiten fern. Wie schon seit 1933 beabsichtigt, wurde nun anlässlich des Jubiläums die Fassade der Neuen Universität verändert: An die Stelle der Pallas Athene trat der Adler; die von Friedrich Gundolf geprägte Inschrift „Dem lebendigen Geist” wurde durch „Dem deutschen Geist” ersetzt - sinnfälliger Ausdruck für die Abkehr von der Tradition.

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Otto Meyerhof und Hans Sachs

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Ernst Levy und Raymond Klibansky

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Raymond Klibansky: geboren 1905 in Paris, Studium der Philosophie und Philologie in Kiel und Heidelberg, Promotion 1929, Habilitation an der Universität Heidelberg 1931, seitdem Privatdozent, April 1933 Entlassung, Juli 1933 Emigration nach London, Professuren in Oxford und Montreal, seit 1957 Ordentlicher Professor außer Dienst an der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg, 1970 Emeritus, 1986 Ernennung zum Ehrensenator, lebt in Montreal und Oxford.

Raymond Klibansky erwarb sich große Verdienste mit Editionen und Forschungen zu Meister Eckhart (um 1260–1328, Mystiker) und Nikolaus von Kues (1401–1464, Philosoph und Theologe). Zusammen mit Erwin Panofsky und Fritz Saxl publizierte er das Standardwerk: „Saturn und Melancholie” (1964)

Nationalsozialistische Studenten

Was sich schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik abgezeichnet hatte, wurde mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur deutlich: In Heidelberg verfügte der NS-Studentenbund über einen starken Rückhalt in der Studentenschaft. Zur Disziplinierung und nationalsozialistischen Ausrichtung trug ab 1933 die Organisierung der Studenten in Fachschaften und Kameradschaften bei. Wehrsport und Arbeitsdienst wurden Pflicht. Bis Mitte der dreißiger Jahre hatten die SA-Hochschulämter starken Zulauf; danach nahm die Zahl der studentischen Mitglieder ab - 1937 war nur noch ein Viertel aller Heidelberger Studenten in der SA oder SS organisiert. Der Führer des NS-Studentenbundes, der Medizinstudent Gustav Adolf Scheel, brachte auch das Studentenwerk unter seine Kontrolle. Jüdische oder politisch unliebsame Kommilitonen wurden von sozialen Leistungen (Stipendien, Wohnheim, Mensa) ausgeschlossen. Außerdem nahm Scheel in seiner Eigenschaft als Führer der Heidelberger Studentenschaft und Mitglied im Führungsstab des Rektors Einfluss auf die Berufungen und Personalpolitik der Universität.

Die nationalsozialistische Studentenpolitik drang tief in den Alltag der Studenten ein und erzwang Teilnahme und Unterordnung. Die Vereinnahmung der Studierenden für „völkische” Ziele war umfassend, erreichte aber - wegen des geringen Organisierungsgrades - eine Erziehung im gewünschten Sinn nur teilweise.

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Jüdische Studenten 1933 bis 1938

Die an der Universität Heidelberg immatrikulierten jüdischen Studenten konnten seit dem Sommersemester 1933 nur unter erheblichen Einschränkungen ihr Studium fortsetzen. Deshalb verließ mehr als die Hälfte der jüdischen Studierenden bereits im Herbst 1933 die Hochschule, so dass sich im Wintersemester 1933/34 nur noch 79 von ihnen in Heidelberg befanden.

Als „nicht arische” Hochschüler waren sie aus der ‘Deutschen Studentenschaft’ ausgeschlossen bzw. wurden nicht in diese aufgenommen. Zeitgleich mit den Maßnahmen gegen jüdische Dozenten trat im April 1933 ein „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen” in Kraft, das die Zulassung der jüdischen Studenten begrenzte. Für Neuimmatrikulationen wurde eine Höchstquote von 1,5% festgelegt; insgesamt durften nicht mehr als 5% der Studierenden Juden sein. Diese Regelung ermöglichte der Immatrikulationsbehörde die willkürliche Ablehnung jüdischer Bewerber, indem eine bereits erreichte Quote vorgetäuscht wurde.

Das Ziel, die jüdischen Studenten auf administrativem Wege vom Studium auszuschließen, wurde durch verschiedene Verordnungen in die Tat umgesetzt. Allmählich verloren die jüdischen Studenten ihre Rechte: die Unterstützung durch das Studentenwerk (1933), Prüfungszulassung (Einschränkungen seit 1934), das Promotionsrecht (1937), den Zutritt zu Archiven (1938) und Bibliotheken (1941). Die noch bestehenden jüdischen Verbindungen waren bereits zum Sommersemester 1933 aufgelöst worden. Berufschancen hatten jüdische Studenten nicht mehr. Lehramt und staatliche Laufbahn waren ihnen verschlossen; für die freien Berufe erhielten sie keine Zulassung mehr. 1937 begann die Universität mit der Aberkennung der Doktortitel. Weit über 100 Doktorgrade wurden in Anwendung des Gesetzes zur Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit überwiegend jüdischen Wissenschaftlern, die emigriert waren, entzogen. Im November 1938 wurde schließlich ein Immatrikulationsverbot für Studierende mit zwei jüdischen Eltern erlassen.

Das Jahr 1938 zeigte die Wirkung der Maßnahmen zur Vertreibung der jüdischen Mitglieder der Hochschule: Das Immatrikulationsverbot für jüdische Studenten ergänzte die Gesetze zur Ausschließung der jüdischen Dozenten. Während es im Lehrkörper der Universität keine Juden mehr gab, wurden die von den Nationalsozialisten so genannten jüdischen „Mischlinge” als Studenten unter bestimmten Bedingungen weiterhin zugelassen.

Jüdische Studenten 1938 bis 1944

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