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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 53.1923-1924

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Roessler, Arthur: Von der Freude an der Arbeit: Bruchstück aus einem Zwiegespräch
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Schwabacher, Sascha: Zur Psychologie der Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.9146#0149

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Von der Freude an der Arbeit.

friedigte die Arbeit den Menschen, weil er sie
freudig vollbrachte. Damals blieb aber auch
der Schuster bei seinem Leisten, der Böttcher
bei seinem Schneideisen, der Schreiber bei
seiner Feder, der Maurer bei seiner Kelle, der
Zimmermann bei seinem Beil, damals „sattelte"
keiner, der ein Handwerk gelernt, eine beson-
dere Fähigkeit ausgebildet, ein bestimmtes Ge-
schäft übernommen hatte, so leichtfertig um,
wie dies heutzutage geschieht. Und das war
gut so. Aibeit machte damals, als sie von den
Menschen noch nicht als drückende Last, als
quälendes Übel, ja als Fluch sogar empfunden
wurde, das Leben erst recht lebenswert. Die
Menschen waren froh und glücklich in der Arbeit,
durch die Arbeit, und erfreuten sich mit Genug-
tuung des Ansehens, das siebei den Mitmenschen
ob ihrer Arbeit genossen. Alle Zeiten, die sich
durch die Freude der Menschen an der Arbeit
auszeichnen, unterscheiden sich von der unsern
durch die hohe Kultur, die sie erreichten, eine
Kultur, von der wir, die nur raffiniert mecha-

nistische Zivilisation aufzuweisen vermögen,
unendlich weit entfernt sind.

Der Andere: Was aber sollen wir tun,
um zu solch beglückender Kultur zu gelangen?

D e r E i n e : Mit Freude die Arbeit verrich-
ten. — Und dann noch: darum bemüht sein,
Dinge hervorzubringen, so gut wir es nur immer
vermögen; und zwar Dinge, deren unsere Volks-
gemeinschaft bedarf, für die nicht erst durch
Schwert und Kugel, Flammenwerfer und Tanks
ein „Absatzgebiet erobert" werden muß. —
Vielleicht verwirklicht sich dann der ersehnte
Zustand, in dem alle Werktätigen geachtet und
geschützt, in gutem Einvernehmen miteinander
leben, gleichviel welcher „Klasse" sie sich selber
zugehörig fühlen oder von andern zugezählt
werden mögen.

Der Andere: Das ist zu schön, um wahr
zu sein.

D e r E i n e: Alles Schöne ist wahr; es kommt
nur darauf an, durch Verwirklichung die Tat-
sächlichkeit zu beweisen. . . . arthur roesslkr.

ZUR PSYCHOLOGIE DER MODE.

Ein Märchengott, der mit einem Szepter auf
einer Märchenbank säße und zusähe, wie
es sich da unten treibt, wüßte vielleicht, was
in dem wirr durcheinanderlaufenden Getriebe
hier unten Ursache und Wirkung, Rhythmus
und Gesetz ist.

Wir mittendrin im wilden Trubel verloren,
fühlen nur blitzhaft, daß alles in einem rätsel-
haften Zusammenhang steht: die Vollendung
und Entwicklung der Maschinenkräfte, die wil-
lenshafte, sachliche Einstellung des modernen
Menschen zum Leben, die Versachlichung der
Kunst, die Bestimmtheit und Eleganz und die
Abwendung vom Fleisch in der Mode. Denn, daß
die ökonomische Entwicklung die reine Ursache
sein soll, wie der Marxismus predigt, erweist
sich als falsch, da inkommensurable Wellen des
Gefühls sichtbar Politik und Geschichte ver-
ändert haben, und die ökonomische Gestaltung
der Gesellschaft deutlich hinter einer fascisti-
schen und reaktionären Ideenwelle herläuft.

Sachlichkeit ist Trumpf. Man vergleiche
einen Tizian, einen Watteau mit einem Bild von
Leger oder Zalit, wo die Personen zu Ma-
schinenteilen geworden zu sein scheinen. Man
vergleiche Rabelais, Daudet, Balzac, Jean Paul,
alle diese überströmende, vitale Menschlichkeit
mit der dürren Prägnanz eines Sternheims, man
vergleiche die Kleiderpracht der Helene Four-
ment, die Falten und Rüschen und Shawls der
Madame Bovary mit der korrekten und gro-

tesken Eleganz der modernen Frau von heute.
— Freilich in der Mode ist das Agens des kalten
Willens, der der einzige Antrieb des modernen
Weltwesens zu sein scheint, noch verhüllt und
verdeckt mit allerlei freundlichen Ingredienzen.
Die Traumwelt der Frau, ihre Gebundenheit
an die dunklen und warmen Kräfte der Liebe,
ist schwer ganz zu zerreißen. Über alle Kultur-
erscheinung hinaus setzt sich noch in der Frauen-
mode der Trieb zur erotischen Verführung durch,
so kräftig, daß die instinktsichere Industrie ge-
zwungen ist, ihr Hilfe zu leisten.

Aber, wie weit die abstrakte Sachlichkeit
Zeichen der Zeit, Stilmoment geworden ist, be-
weist gerade die Damenmode. Dem Unterschied
zwischen Frau und Mann, den die Mode immer
übertrieben zu betonen liebte, weil er erotische
Wirkungen versprach (man denke nur an die
Überbetonung der Brüste und Hüfterj), ist eine
Ausgleichung gefolgt, die die femininen Eigen-
tümlichkeiten des Körpers fast ganz negiert und
verdeckt. Diese Verleugnung der geschlecht-
lichen Eigenart, die sonst nur geschah, wenn
die Strenge der religiösen Anschauung die Sinn-
lichkeit in Fesseln schlug, wie in der Gotik, er-
scheint hier zum ersten Mal in einer Zeit der
anarchistischen Freiheit des Geschlechts.

Die Mode, dieses Kind der Eitelkeit und
Liebe, und der Mode-Industrie, die ihr dient,
ist in eine noch niemals gekannte, kühle Atmo-
sphäre gedrängt worden. Sie ist sachlich und
 
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