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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 50.1922

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Millet, Jean-François: Natur und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9143#0033

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giotio. arena in padua.

sS.GIOVACCHINO BEI DEN HIRTEN €

NATUR UND KUNST.

Der geniale Künstler hat die Mission, die
Reichtümer der Natur, die er entdeckt hat,
denen zu offenbaren, die die Sprache der Natur
nicht verstehen. Wenn Ihr euch ihr hingebt,
wie wir es getan, so wird sie euch nach eurer

Empfänglichkeit aus Ihrer Fülle geben.--

Es ist ein unendlicher Hochmut oder eine
unendliche Torheit, wenn der Mensch glaubt,
er könne die sogenannten Fehler und den
schlechten Geschmack der Natur verbessern.
Was rechtfertigt diese Anmaßung? Vor denen,
welche ihre Schönheiten nicht lieben und ver-
stehen, verschleiert die Natur ihr Antlitz, sie
vermag ihnen nur bedingungsweise zu begeg-
nen. Und deshalb sagen sie, die Trauben sind
zu sauer; da wir die Natur nicht verstehen,

wollen wir sie aus Rache verleumden. — Die
Natur gibt sich rückhaltlos denen, die nach ihr
verlangen, aber sie ist eine eifersüchtige Herrin
und will allein geliebt sein. Wir lieben ein
Kunstwerk, weil es von ihr stammt, alles andere
ist nichtssagend und trocken. — Der Verfall trat
ein, als die Kunst, die tatsächlich ein Naturkind
war, höchstes Ziel wurde, als die Menschen
die großen Künstler als Vorbild nahmen und
vergaßen, daß diese den Blick ins Unendliche
gerichtet hatten. Sie glaubten nach der Natur zu
arbeiten, und sahen nicht, daß das Atelierlicht
nicht das freie Licht der Natur ist. Technische
Verdienste wurden die Hauptsache und man
vergaß, daß diese Vorzüge dazu dienen sollen,
Gedanken auszudrücken, jean franqois millet.

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XXV. April 1922. 3
 
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