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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1929)
DOI Artikel:
Kolbenheyer, Erwin Guido: Aus dem Werk E. G. Kolbenheyers
DOI Artikel:
Gogarten, Friedrich: Glaube und Wirklichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0134

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Herbst, du Herbst der namenlosen Weiten,

Zch tvar dir von einst und je ersehen.

Einer, einer muß im Purpur gehen,

Scheue Schleier werden ihn umgleiten.

(Aus „Lyrisches Breoiec")

Glaube und Wirklick-kelL

Don Friedrich Gogarken

^H^ik den beiden Worken Glaube und WirklichkeiL und damik, daß sie
^nebeneinander gesiellk und aufeinander bezogen sind, isi die ganze
mcrkwürdige Eigenark des menschlichen Lebens bezeichnek, so wie wir es leben
müssen im ständigen Übergang vom Hier zum Dort, vom Heuke zum Mor-
gen, vom Bekannken zum Unbekannken, vom Endlichen ins llnendliche, aus
der Zeit in die Ewigkeik, aus dem Begrissenen in das Unbegreisliche. Dabei is!
das eine, nämlich das Hier und das Heuke und die Zeik usw., dasjenige,
was wir jeweils zu begreisen vermögen, worüber wir Gewalt haben und was
uns gehörk und worin wir uns selbst gehören, wonn wir frei sind. llnd das
andere, nämlich das Dort und das Mvrgen und die Ewigkeik usw., ist das-
jcnige, was wir jeweils nichk begreisen, was unserer Gewalk nichk unkerworsen
ist, sondern dessen Gewalt wir unkerworfen sind, was uns nichk gehört und
worin wir uns nichk gehören, sondern worin wir einem andern gehören. Keiner
von uns kann sich, solange er lebk, diesem ständigen Übergang enkziehen. Denn
in ihm verläusk das Leben.

Sieht man genau hin, dann gehk die Bewegung des Lebens nichk nur in
dieser einen Richkung vom Hier zum Dork, vom Heuke zum Morgen, vom
Begrissenen in das Unbegreisliche, sondern sie gehk ebenso sehr umgekehrk
zurück vom Dort zum Hier, aus der Zukunfk in die Gegenwark, aus dem
llnbegreiflichcn aus das Begrisfenc, aus der Gebundenheit in die Freiheik.
Man muß sich nur an Skundcn erinncrn, in denen das Leben stärker bewegk
ist als in gewöhnlichen Zeiten und too darum seine Eigenark deuklicher zum
Borschein kommk. 2ln Skunden ckwa, in denen eine lebenswichkige Enkschei-
dung zu tressen ist. Da wird es ganz klar, daß das menschliche Leben sich
nichk nur abspielk im Hier und IeHL und in dem, was wir begrissen haben,
und in dem, worüber wir Gcwalk haben und worin wir uns selbst gehören.
Sondern, daß scine Bewegung weik darüber hinausgehk. llnd je weiker dic
Lebensbcwegung cines Menschen ausgreifk in das, was mehr ist als das
ZeHt und Hier und als das, was bcgristen werden kann, und je encrgischer
dann auch sein Leben wieder auf das Hier und JeHk und in das Begreifbare
hinein zurückstößt, um so Lieser, um so sruchkbarer, um so gelebker wird ein
solchce Leben sein. Dagcgen wird das Leben cines Menschen arm sein, das
nicht los konnnt von dem ZeHt und Hier, von dem, was er allein aus den
Ersahrungen des IeHk und Hicr zu begreisen vermag. llnd in den Skunden,
wo sich Änderen das Leben unermeßlich weikek, sei es durch Schmerz oder
Glück oder Wagnis, bleibk er in der gleichen dumpfen stumpssinnigen Enge,
iu der ihm das Leben verödek. Frcilich, ebenso arm wird das Leben eines
Menschen sein, der es hinbringk im Träumen und Grübeln über das Dork
und das Morgen und das llnbekannte und das llnbegreisliche, und der dar-
 
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