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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 25.1914

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Neues vom Louvre
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KUNSTCHRONIK

Neue Folge. XXV. Jahrgang 1913/1914 Nr. 30. 17. April 1914

Die Kunstchronik und der Kunstmarkt erscheinen am Freitage jeder Woche (im Juli und August nach Bedarf) und kosten halbjährlich 6 Mark.
Man abonniert bei jeder Buchhandlung, beim Verlage oder bei der Post. Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden,
leisten Redaktion und Verlagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Hospitalstr. 11 a.
Abonnenten der Zeitschrift für bildende Kunst erhalten Kunstchronik und Kunstmarkt kostenfrei. Anzeigen 30 Pf. die Petitzeile; Vorzugsplätze teurer.

NEUES VOM LOUVRE

In einem abgelegenen Flügel des Louvre, mitten
in einer Flucht von Sälen, in denen Handzeichnungen
und Pastelle untergebracht sind, ist ein neuer Raum
mit Plastiken, Zeichnungen und Aquarellen von
A. L. Barye eröffnet worden. Es ist eine Schenkung
eines »Ami du Louvre«, der nicht genannt sein will.
Seine Freundschaft für das Louvre indessen geht nicht
so weit, daß er die Aufstellung in einem Saal ge-
stattet hätte, wo bereits andere Werke Baryes zu
finden sind. In allen drei Stockwerken des Louvre,
an vier verschiedenen Stellen, muß man sich nun die
Arbeiten dieses Künstlers zusammensuchen. Das ist
wohl eine Schattenseite des Stiftungswesens.

Kennt man die Skulpturen Baryes in der Samm-
lung Tommy Thierry, so fügt der neue Saal nichts
zu dessen Ruhm hinzu. Es ist zu viel Salonmäßiges
an seinen Sachen, um große Kunst zu sein. Zwar
beruhen seine Tierbildnisse auf einer für die damalige
Zeit außergewöhnlich scharfen Naturbeobachtung, aber
meist drängt sich die Anekdote zu viel vor. Mit
Vorliebe stellt er Tierüberfälle, Jagdszenen, Kämpfe
zwischen Tier und Mensch dar: dramatische Zu-
spitzung, gesteigerte Bewegung — auf dem Niveau
der Vifrinenkunst. Dazu macht er ziemliche An-
leihen an vergangene Stilarten. Besonders der Re-
naissance entnimmt er manches Motiv. Die Haupt-
entwicklungslinie der französischen Bildhauerkunst:
Puget, Houdon, Rüde, Carpeaux, Rodin geht an ihm
vorüber. Barye bedeutet ein romantisierender Seiten-
trieb zu einer Zeit, der Delacroix den Stempel auf-
drückt

Besonders nahe zu Delacroix stehen Baryes Zeich-
nungen und Aquarelle. Doch haben sie nicht dessen
zwingende Form und koloristischen Reichtum. Auf
einem der Aquarelle schleicht unheimlich schwarz
irgendein Katzentier durch die Bergeinöde. Derartige
»Stimmung« bringt auch die mechanisch arbeitende
Reproduktionstechnik unserer Tage zuwege, wie photo-
graphischer Apparat und Kino. Immer mehr stellt
man darum an die Kunst die Forderung individuell-
ster Gestaltung.

Dem Louvre ist ferner eine neue kostbare Schenkung
zugefallen. Die Marquise von Arconati-Visconti hat
— zu ihren Lebzeiten, wie es jetzt, immer mehr üblich
wird — ihre seit dreißig Jahren gesammelten Kunst-
schätze dem Louvre überwiesen. Ein Kinderpastell
von La Tour dürfte das jüngste Werk der Sammlung
sein. Sonst enthält sie zumeist nur französische und
italienische Werke des Mittelalters und der Renaissance.
Wie im Musee Andre ist auch hier besonderes Ge-
wicht auf eine Interieurwirkung gelegt. Es ist be-
greiflich. Modernen Sammlern von europäischen

Vermögensverhältnissen ist es fast unmöglich, sich
noch isolierte und isolierbare Meisterwerke der bilden-
den Kunst vergangener Epochen zu verschaffen. Nur
das eine Ziel ist noch erreichbar: die Wiedererweckung
einer historischen Gesamtstimmung durch geschmack-
volle Auswahl und Anordnung aller möglichen auf
eine bestimmte Zeit sich beziehenden Kunst- und
Gebrauchsgegenstände. So haben auch in der Samm-
lung der Marquise von Arconati-Visconti Bilder
und Statuen vor allem relativen Wert. Hervorzuheben
sind: eine Jungfrau aus der Schule des Ghirlandajo,
zwei Porträts von Mainardi, ein Frauenkopf von
Ambrogio da Predis und unter den Statuen eine
marmorne gotische Jungfrau, eine lombardische Büste
des Galeazzo Maria Sforza. Sie schauen herab auf
Truhen, Kredenzen, Elfenbein- und Emailarbeiten ihrer
Epoche. Es ist anzunehmen, daß die Innenraum-
aufstellung auch im Louvre erhalten bleibt. Man wird
sich wohl noch eine Zeit gedulden müssen, bis diese
Sammlung öffentlich zugänglich gemacht wird.

Was sind dem Louvre, das auf Ewigkeit einge-
stellt ist, Wochen, Jahre der Verspätung? — Seit
einem Monat ist die Ausstellung von 38 Zeichnungen
Claude Lorrains, der Schenkung eines Ami du Louvre,
angekündigt. Auf meine Frage, wann wird sie sichtbar
sein, weiß mir kein Diener des Louvre Auskunft zu
geben. Nur der eine trällert den Kehrreim eines
alten Volksliedes: »A Päques ou ä la Trinite«. Auch
die Eröffnung der Sammlung Camondo, die auf Anfang
April anberaumt war, ist wieder auf Wochen hinaus-
geschoben worden. »Man arbeitet fest«, antwortet
Hoffnung erweckend ein Angestellter auf mein Be-
fragen, indem er mit dem Zeigefinger nach oben
deutet. Meint er damit die neuen Ausstellungsräume
oder die Leitung des Louvre? Besagte Leitung mag
allerhand gute Eigenschaften haben, die eine besitzt
sie nicht, die — wie man sich hier auszudrücken
pflegt — Koketterie, pünktlich zu sein.

An Ausstellungen dekorativer Kunst ist in Paris
kein Mangel. Künstlerische Höhe und Häufigkeit
entsprechen sich indessen nicht. Aus gemäßigten
und fortschrittlichen Kreisen zugleich setzen sich die
Artistes Decorateurs zusammen, die im März im
Pavillon Marsan des Louvre ausstellten. Es ist er-
sichtlich, daß die Gruppe der Jungen im Herbstsalon,
Groult, Marc, Sue, Palyard, immer mehr die Führung
an sich reißen, ja daß sie mit ihren Vereinfachungs-
prinzipien und ihrer Freude am farbigen Ornament
auf die Älteren wie Majorelle, Gaillard, Dufrene, Gallerey
zurückwirken. Trotzdem leidet im großen und ganzen
die französische Möbelkunst an dem seit dem Nouveau-
Art-Stil eingerissenen Grundübel: an dem Mangel an
Respekt vor dem Material. Hier sieht man Tischbeine
 
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