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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 10./​11.1928/​29

DOI Heft:
1. 2. Dezemberheft
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Tietze, Hans: Aus den Museen von Reims und Amiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.25877#0167

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Aus den Mufeen oon Retms und Amtens

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jlatis Tiet^esLOien

| eber die Museen, die während des Krieges diesseits
der Westfront lagen, sind wir dnrch offizielle und
nicht offizielle Veröffentlichungen ausreichend unter-
richtet; trotz aller Schwierigkeiten war man doch er-
folgreich bemüht, sie vor dem Schlimmsten zu bewah-
ren. Fast noch bedrohlicher war die Lage für die
Museen jener Städte, die sich im Kampfbereich selbst
befanden und über die der Krieg mit seinen Zerstörun-
gen schonungslos hinweggegangen ist; die Monumental-
werke dieser Zonc liaben schwere und bcdaueriiche Ein-
buße erlitten, der leichter zu bewegende und zu ber-
gende Inhalt der Museen konnte in Sicherheit gebracht
werden. Hier sind keinc nicht wieder gut zu machenden
Schäden zu beklagen; fast überall ist der Wiederaufbau
vollkommen vollzogen. die Museen sind im alten, z. T.
in verbessertem Zustand wieder aufgestellt.

Die beiden wichtigsten Museen dieser Art sind dic
von Reims und Amiens; bcide sind reich an bedeuten-
den Werken von weit überlokalem Wcrt, bcidc sind
gleichzeitig in Entstehung und Aufstellung typisch für
die Besonderheit der französischen Museen, an deren
Schwächen ja inländische Beurtciler ausreichend Kritik
geübt haben. Die besorgtere Frage mußte dem Museum
in Reims gelten; das schwere Schicksal, das die alte
Krönungsstadt der französischen Könige betroffen hat,
hat auch die ehemalige Abtei von St. Denis, die das
Museum beherbergt, nicht verschont. Aber das Ge-
bäude ist heute völlig wieder hergestellt und sein Inhalt
ist so gut wie intakt geblieben; von den zum Bestand
des Museums gehörigen Bildcrn sind wohl einige. die in
andere Amtsgebäude ausgeliehen waren, zugrunde ge-
gangen, doch scheint sich nichts Wichtiges darunter zu
befinden. Alle Hauptstücke sind wieder zu schen: der
interessante Passionsaltar von einem Reimser Primiti-
ven, die wichtige Serie deutscher Bildniszeichnungen
aus der ersten Hälfte des 16. Jahrh., die zum aller-
ältesten Kern der Sammlung gehört, die prachtvollen
Tapisserien, denen provisorisch auch die noch nicht in
die Kathedrale zurückgekehrten angegliedert sind, dic
schöne Stiftung Warnier-David, die mit der hohen
Qnalität ihrer Bilder — besonders der 16 Corots — ein
provinziclles Gegenstück zur Sammlung Moreau-
Nelaton bildet usw. Einige Neuerwerbungen seit dem
Kriege sind zu verzeichnen: ein ausgezeichneter Math.
Le Nain „Venus und Vulkan“, der zeitweilig im Louvre
zu sehen war, ein dem Sebastiano del Piombo zuge-
schriebenes Bildnis der Julia Gonzaga, dieser sensatio-
nellen Figuren der Hochrenaissance, ein sehr reizvolles
Mädchenbildnis von L. David.

Auch das Muscum von Amiens hat schwere Stun-
den erlebt; infolge einer Beschießung der Stadt am
28. März 1918 ist mehreres zugrunde gegangen: die
wunderbare Brotvermehrung von Herrera, das Abend-

mahl von Restout, die Begegnung Heinrichs IV. mit
Sully von F. A. Vincent, ein Teil der lokalgeschichtlich
bemerkenswerten Zeichnungen der Brüder Duthoit.
Aber auch hier befand sich der bedeutendste Teil des
Museums in Sicherheit; sogar die Fresken Puvis de
Chavannes, die seinen besonderen Stolz bilden, sind ab-
gelöst und in Paris auf Leinwand übertragen worden;
seit 1923 sind sie so gut wie unbeschädigt wieder an
Ort und Stelle. Einiger Zuwachs ist gleichfalls zu ver-
zeichnen. Die Serie der „Jagden“, die 1736—1738 von
Boucher, Van Loo, Pater und anderen für die „galerie
des petits appartements du roi“ in Versailles gemalt
worden war, ist jctzt in Amiens, wo sich sclion ehedem
vier Stücke davon bcfanden, vollständig vereinigt; dic
fünf übrigen, die auf den Louvre und Fontainebleau,
Toulouse und Calais verstreut waren, sind 1923 hierher
iibertragen worden. Ferner sind dem Museum zwei
große Schenkungen einverleibt worden, dic Sammlun-
gen Dumont und Albert Maignan. Unter den neuerwor-
benen Einzelstücken fällt die aus S. Martin au Bourg
stammende polychromierte Holzfigur eines Mannes um
1500 besonders auf.

Beide Museen stellen in ihrer systemlosen Buntheit
den Niederschlag der ästhetischen und historischen
Interessen der Champagne und dcr Picardie dar; beide
besitzen überdies noch je einen lokalhistorischen Be-
stand, der einzigartig ist und durch scine enge Verbin-
dung mit anderen bodenständigen Einrichtungen und
Bestrebungen die gesunde Wurzelhaftigkeit der Kunst
früherer Jahrhunderte bezcugt.

In Reims ist es die Serie der gemalten Tücher aus
dem Hötel-Dieu, dem Hospital, die seit der Mitte des
19. Jahrhunderts wiederholt die Aufmerksamkeit der
Gelehrten errcgt hat; Louis Paris hat sie schon 1843 in
einem zweibändigen Wcrk mit guten farbigen Litho-
graphien von Leberthais vcröffentlicht. Ihre ursprüng-
lichc Reihe ist durch einen Kriegszufall um ein weiteres
Stück bereichert worden; 1920 fand sich im Spital unter
die Tapcten geklebt ein sehr zerstörtes, aber höchst
merkwürdiges Kclterbild aus dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts. Diese Bilder, die nur den Ueberrest einer
einst viel größeren Menge darstellen, sind verschieden
im Stil, aber einheitlich im Charakter; es sind große
Leinwandstücke, auf die in energischen, festen Strichen
gezeichnet und in diinnem, leichten Farbenauftrag ge-
malt ist. Spätere Zutaten von Farbe — besonders aus-
giebig bei den im 18. Jahrhundert restaurierten Kran-
kenheilungen Christi — stechen sehr scharf gegen den
ursprünglichen Bestand ab. Vorhanden sind — außer
den genannten — noch eine Geschichte der Judith, eine
Esther, und in vier Darstellungen die Geschichte der
Susanna, vielleicht allesamt einst zu einer Serie alt-
testamentlicher Frauen gehörig; dann eine Passions-

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