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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

DOI Heft:
1. Augustheft
DOI Artikel:
Waser, Otto: Eine Neuerwerbung der Zürchner Archäologischen Sammlung
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0611

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Otto IDafet^Bündt)

l-cereits hat der „Kunstwanderer“ in seinem 2. No-
1“'/ vemberheft 1920 (S. 125) Notiz genommen von
beachtenswertem Zuwachs, den die A r c h ä o 1 o g i -
sche Sammlung der Universität Zürich
in neuester Zeit erfahren hat. Ende Oktober 1921
glückte weiterhin die Erwerbung eines eigenartig schö-
nen antiken Marmorkopfes aus Albanien.
Noch habe ich nicht alle Information beisammen, für ein-
mal aber muß es bei dem Erkundeten sein Bewenden
haben. Wohl über allem Zweifel steht die Angabe, daß
der Kopf im Kloster Poianni aufgefunden wurde, in der
Musakja, d. h. im mittleren Albanien nahe der Küste ge-
genüber Brindisi, in dem Klosten das über der Stelle
sich erhob, die einst eingenommen ward von dem bei
Plinius (n. h. 3, 145) erwähnten „berühmten“ Nymphai-
on im Gebiet der Stadt A p o 11 o n i a in Illyrien —
„Poianni“ ist ja offenbar verderbt aus Apollonia. c. 1915
ist der Kopf von einem angesehenen Wiener Advokaten
käuflich erworben worden, hat dann während des Krie-
ges noch zweimal den Besitzer gewechselt und wurde
mir im letzten Herbst zum Verkauf angeboten. Seiner-
zeit schon, in der Kanzlei des Advokaten, haben u. a. die
bekannten Archäologen Dr. Ludwig Pollak und Prof.
Heinrich Sitte (von der Universität Innsbruck) das Stück
besichtigt und in sehr anerkennender Weise beurteilt,
der letztgenannte auch in schriftlichem Attest. Dazu
kam als weitere Echtheitsbeglaubigung und stilistische
Einschätzung ein (vom 6. X. 21 datiertes) Gutachten des
Direktors der Antikensammlung im Wiener Kunsthisto-
rischen Museum, Dr. Julius Bankö, der dann auch, als
der Kauf dank der Liberalität dreier hochherziger Gön-
ner perfekt geworden, seiner Freude Ausdruck gab. daß,
da es dem Wiener Museum nicht möglich gewesen, das
prächtige Stück festzuhalten, dieses nun in Zürich wohl-
geborgen sei und nicht in einer Privatsammlung ver-
schwinde. Der Marmor gilt für griechisch. Nach Bankö
stammt er „wahrscheinlich von der Insel Paros“, nach
Siite vom Pentelikon: „Die Herkunft des Denkmals aus
dem klassischen Süden und das edle Material, schön
durchscheinender griechischer, nach der Größe und Far-
be der Kristalle wohl pentelischer Marmor machen den
lieben Kopf nur noch kostbarer“. Auch ich möchte sa-
gen (Belehrung durch einen speziell Steinkundigen vor-
behalten), es sei pentelischer Marmor mit Glimmer-
schichten, wie er das Material abgegeben für die Par-
thenonskulpturen. Das Ganze mißt 19 cm in der Höhe,
20 cm in der Breite; 15 cm beträgt die Gesichtshöhe.
Der Kopf an sich ist tadellos erhalten. Nicht einmal die
Nasenspitze weist eine Spur von Verletzung, und die
Bestoßung rechts im Haar an der linken Schläfe macht
kaum sich geltend. Bleibt zu bedauern, daß er gleich

unter dem Kinn abgebrochen ist. Hier und dort kleben
noch Reste von Mauerkalk an, doch nur im Haar und am
Hinterkopf. Entsprechende Spuren im Gesicht fehlen;
fast muß man vermuten, sie seien beseitigt, bezw. die
Vorderseite sei etwas geputzt, da und dort leise über-
arbeitet worden. Das würde erklären, daß sie so gut
und frisch erhalten erscheint, wogegen die Rückseite
mehr Anzeichen aufweist von Alter und Verwitterung.
Angesichts des Kopfes stellte sich bei mir gleich die Er-
innerung ein an einen anderen Frauenkopf, einen in eng-
lischem Privatbesitz, zu London in der Sammlung T.
Humphrey Ward, mit dem ich ihn alsbald anhand der
Brunn-Bruckmannschen Tafel 581 konfrontierte, später
auch im Lichtbild. Unlängst erst, im Jahrbuch des
Deutschen archäologischen Instituts von 1916, hat Wil-
lielm Klein in Prag den „W ardschen K o p f“ her-
angezogen im Zusammenhang mit der sog. ludovisb
schen Thronlehne, in einem Aufsatz, in dem er die künst-
lerische Individualität des K a 1 a m i s zu fassen sucnt,
und auf diesein anderen Wege kam ich zu ähnlichem
Ergebnis wie das Gutachten von Direktor Bankö, näm-
lich, nach stilkritischen Indizien, auf Grund stilistischer
Analyse den Kopf kunstgeschichtlich einzureihen unter
die Werke aus der Zeit unmittelbar vor Pheidias, etwa
aus dem Kreis des Kalamis (c. 460 v. Chr.), seine Ent-
stehung dagegen allerdings erst iin letzten vorchrist-
lichen Jahrhundert anzunehmen in den Kreisen jener
sog. Neuattiker, die eklektisch an klassisch attische Vor-
bilder sich hielten. Zunächst die Enface-Aufnahme
(Abb. 1) zeigt, wie der Kopf symmetrisch in klaren,
festgefügten Formen, in überzeugender, greifbarer Pla-
stik aufgebaut ist, „ein weiblicher Idealkopf von gro-
ßem, strengem Gesamtcharakter und breiter Anlage“
(Bankö). In zwei beidseitig der genau medialen Schei-
tel gleichmäßig auseinandergelegten, scharf begrenzten
Wellen umschließt das aufgelöste, von keiner Binde ge-
haltene Haupthaar die niedere Stirn und das breite,
volle Oval des Gesichtes; scharf zeichnen sich die weit
ausladenden Brauenbogen auf der glatten, seltsam zu-
rückweichenden, unbelebten Stirn; die Augen, groß
geöffnet, werden von den klar geschnittenen, kräftig
vortretenden Lidern fest umzogen; groß sind und grad-
aus blickend die (einst gemalten) Augensterne, die uns
die feiner als das menschliche Auge reagierende photo-
graphische Platte verrät (beiläufig: ein untrügliches
Zeichen der Echtheit des Kopfes!); der breite, leise ge-
bogene Nasenrücken, deutlich die Fortsetzung von Stirn
und Scheitel, unterstützt die lineare Klarheit, zu der
dagegen Mund und Kinn in ihrer außerordentlich le-
bendigen und weichen Behandlung in einem gewissen
Gegensatze stehen, Auffallende Besonderheiten an dem

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