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Kunstwart und Kulturwart — 28,3.1915

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1915)
DOI Artikel:
Fuchs, Emil: Die deutschen Kirchen zu Pfingsten, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.14420#0154

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Die deutschen Kirchen
Zu Pfingsten
1

m Kriegsbettag im Arbeiterviertel Berlins! Die Mrche wird von
I den Massen gestürmt, von den Massen, die vor kurzem^ der „Mrche"
^d^mit verachtender Feindschaft gegenüberstanden. Ahnlich ist es in
andern Industriegebieten. Ähnliches vollzog und vollzieht sich in den
gebildeten Kreisen des Volkes. Man braucht den Gottesdienst und fühlt
sich wieder als Glied der Mrche.

Ist das Aberglaube, der sich mit Gott gut stellen will? Solcher mag
darunter sein — dem genauen Beobachter aber zeigt es sich: Der Aber-
glaube tritt zurück — es ist ein anderes: Lin ungeheures, ein überwal-
tigendes Lrlebnis ist in das einsörmige Gleichmaß des Lebens einge-
treten. Lin Ungehenres steigt in der Seele selbst auf, die urgewaltige
Wucht der Liebe zu Heimat und Vaterland und deutschem Sein und
Wesen — die unendliche Liebe, die das eigene Leben als ein Kleines,
Nebensächliches empfindet neben dem Großen, das gesährdet ist. — Und
solch ein Lrleben können all die Tausende und Tausende nnr verarbei-
ten, nur bewältigen, nur fassen, indem sie zur Kirche eilen und im
Gottesdienst zum bewußten Erfassen werden lassen, was als Kraft des
Anendlichen, Wesen des Unendlichen, Herausgerissensein aus der Ein-
zelheit und Selbstsucht ins Ganze hinein durch sie hinzieht. Das ist
es eben doch, was nur die Religion aussprechen und darstellen kann,
das Zusammensein des kleinen Menschenwesens mit den Krästen des
Heiligen, Großen, übermenschlich Gewaltigen, das doch auch in der Men-
schenseele ist als ihr bestes Teil.

G

<^ie Massen aller Stände, die sich in den gewaltigen Augusttagen zu
-2^den Kirchen drängten, fluteten nicht enttäuscht zurück. Sie kamen
wieder und wieder. Sie müssen doch dort für die Heiligkeit ihres großen
Erlebens den rechten, würdigen, sassenden und klärenden Ausdruck ge-
funden haben. Sie müssen doch dort die Weihe fühlen, ohne deren er-
hebendes Gefühl sie in dieser großen, schweren Zeit sich zu einsam, zu un-
würdig, zn klein sühlen würden, wie Bettler im stolzen Palast. Sie
müssen sich dort auch zu jener Größe gehoben fühlen, die aus den Er-
eignissen zu uns kommt und durch die Ereignisse von uns gefordert wird.
Ilnd wenn die Kirchen jetzt den Menschen das leisten können — können
sie dann so stark hinter der Entwicklung, hinter der Gegenwart zurück sein,
wie man im Verkennen ihres Aufstrebens in vergangener Zeit meinte? —
War doch nicht diese Gleichgültigkeit gegen Kirche und Religion auch ein
Stück jenes Hinplätscherns des Lebensstroms in oberflächlichem Genießen
und Erleben und Aufgehen im Alltäglichen, über das wir jetzt auf allen
Gebieten des Lebens hinausgehoben sind? Sind die Kirchen nicht doch
mehr als wir dachten, die geistige Heimat unsres Volkes? Denn da ist
doch wohl des Menschen Heimat, wohin er sein tiefstes, gewaltigstes Er-
 
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