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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Avenarius, Ferdinand: Berufswahl
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0104

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Iahrg.27 Zweites Aprilheft 1914 Heft

Berufswahl

^-^stern ist die Zeit) da die meisten jungen Menschen „in den neuen
^ IBeruf kommen". Beruf. . . was besagt das eigentlich: Beruf?

Nach der Sprache doch wohl das, wohin man einen Nuf vernimmt.
Linen Ruf woher? Früher vermeinte man: der „Begabung" oder, wenn
man gläubig war: der inneren Stimme von Gott her. Es ward bei
den offenen Köpfen als bedauerlich empfunden, wenn ihr Weg nicht
vom „Kompaß der Seele" bestimmt wurde, sondern von irgendeinem
magnetischen Metall außerhalb des Ichs. Oder tat man nur mit konven--
tionellen Lügen so? Ich kann's nicht entscheiden, man wird's verschieden
gehalten haben. Armut ist, das versteht sich, bei Menschen von nicht
ungewöhnlicher Energie fast immer gleichbedeutend mit Zwang gewesen
auch für die Berufswahl der Kinder. Not kennt kein Gebot, vom Zwange
der Berufswahl durch Not möchten wir im folgenden nicht sprechen.
Sondern von jenen, welche den alten Sinn des Wortes „Beruf" ver-
gessen haben, welchen das Wort Berufswahl dasselbe bedeutet wie Unter-
haltswahl, und welche Nöte und Zwänge sehn, wo keine sind. Vielleicht,
daß unser Gesprächstoff und das Auferstehungsfest tieferen Zusammenhang
mit dem Thema „Berufswahl" erweisen, als bei dem zeitlichen Zusammen-
fallen von Ostern und Schulschluß offensichtlich sind.

Rat Müller hat einen Iungen, der sich mühselig durch die Klassen
quält. Nachhilfestunden, Sitzenbleiben, er wird zu alt zwischen den Mit-
schülern, Demütigungen, Freudlosigkeit, Verstumpfung oder Dummheiten-
machen zur Entschädigung, Aberarbeitung, Kränklichkeit oder gar Stim-
mungen, daß dem Vater ungemütlich wird, wenn er in der Zeitung wieder
einmal von Schülerselbstmorden liest. Man scheut sich als Schriftsteller
beinah an derartiges zu erinnern, so alltäglich ist es jedem, so banal. So
altbekannt ist auch der nächste Grund: der Iunge soll eben studieren, und
so vielbelächelt ist dieses Grundes Grund: denn das ist standesgemäß.
Soll etwa der Sohn des tzerrn Rats „Koofmich" werden oder gar Lischler
oder Maurer? Der Sohn des tzerrn Rats soll „standesgemäß" leben,
also in einem „akademischen Beruf". Wie weit bringt es darin einer,
der zum Studium ohne Begabung war? Nun, die „Beziehungen^ helfen
ihm wohl. Aber was wird er selber, was wird die Familie, was der
Staat davon haben?

Eine Gruppe von Fragen hebt ihre Köpfe auf. Iede sieht beinahe wie
ein Nngeheuer aus. Iede ist eigentlich nur ein Wahngebilde. And jede
ist doch ein Angeheuer.

Was er, der Iunge selbst, davon haben wird, das hängt ja sehr davon
ab, was für einer er „sonst" ist, außerhalb der Arbeit. Ist er durch
unsre Gesellschaft schon so „geknetet und zugericht", daß auch ihm die
Aufnahme wenn nicht in den Tschin, so doch wenigstens in die Welt,
in der man sich langweilt, ein Ziel aufs innigste zu wünschen scheint,
 
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