Kömer und Germanen im 3. und 4. Zahrhundert.
(Die Grenzwehr von 268 -375.)

Von
Zulius v. Vflugk-Harkkung.

Die Not des 3. Jahrhunderts brachte das römiſche Reich an
den Rand des Unterganges; da waren die Menſchen ſelten ge—
worden, das Land verödete, die Städte zerfielen, der Wohlſtand
verkam, die zarteren und edleren Regungen erſtarben. Traurig
konnte ein Panegyriker ſagen: „Die Ebene bis an die Saone war
einſt fröhlich und reich, ſolange man die Gewäſſer in Ordnung
hielt — jetzt ſind die Niederungen zum Flußbette oder zur Pfütze
geworden; die gewaltigen Weinſtöcke ſind verholzt und verwildert,
und neue kann man nicht pflanzen. Von der Stelle an, wo der
Weg auswärts führt nach dem belgiſchen Gallien, iſt wüſte, ſtumme,
düſtere Oede; ſelbſt die Heerſtraße iſt ſchlecht und uneben und er—
ſchwert den Verkehr.“

Und das alles war bewirkt durch Zerrüttung im Innern und
den Feind von außen, und dieſer Feind war der Germane. Ueber—
all hatte er die gegen ihn errichteten und lange behaupteten Grenz—
wehren durchbrochen und war vorgeſtürmt in ein verheißungsvolles
Land. Es gab um die Mitte des 3. Jahrhunderts nur noch
wenige glückliche Gebiete auf dem europäiſchen Feſtlande, die die
verderbendrohenden blauen Augen und die blonden Flatterhaare
nicht geſehen, nicht die vernichtende Fauſt der Germanen empfun—
den hatten. Von Peſt, Hungersnot und Parteiwut, von Eigennutz
und Unwert gefördert, ſchien das Abendland ihre Beute werden
zu ſollen.

Ein wichtiger vorgeſchobener Grenzſtrich war das Dekumatland,
welches durch Wall und Graben von der Donau bis zum Rheine
gedeckt wurde. Wohl unter Gallienus ging es an die Alamannen

Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte ꝛc., 1885. Heft V. 22