Mitteilungen und Perichtt.
Geſchichte der deutſchen Litteratur. Von Wilhelm Scherer.
Berlin, Weidmannſche Buchhandlung, 1883. XIEund 814 Seiten.
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„Der deutſche Büchermarkt iſt ſeit einiger Zeit mit Litteraturgeſchichten über—
ſchwemmt. Und doch mangelt es durchaus an einem Werke, welches nicht aus
zweiter und dritter Hand, ſondern aus den Quellen ſelbſt geſchöpft, auf der Höhe
der heutigen Wiſſenſchaft ſtünde und in künſtleriſch freier Anordnung, aber auf
das Weſentliche beſchränkt, ein umfaſſendes und anſchauliches Bild der geiſtigen.
Entwickelung unſerer Nation zu geben verſuchte“. Dieſes lang vorbereitete und
ſehnſüchtig erwartete Werk liegt nun abgeſchloſſen vor. Der begabteſte und viel—
ſeitigſte Forſcher auf dem Gebiete germaniſtiſcher Philologie und deutſcher Litteratur—
geſchichte, zu welchem als dem berufenen Führer im Momente ſchmerzlichen Ver—
luſtes aller Blicke ſich erheben, hat ſich dieſer ſchwierigen Aufgabe unterzogen
und ſie auf wahrhaft glänzende Weiſe gelöſt. „Kurz und überſichtlich und doch
nicht zu knapp“, hat er der Nation „den Gang ihrer innerſten individuellſten
Entwickelung dargelegt“; mit ſcharfem Blick hat er die Perioden dieſer Ent—
wickelung geſchieden und einzeln charakteriſiert, mit ſicherer Hand hat er die
Maſſen gruppiert, die leitenden Ideen der jeweiligen Zeitſtrömung aufgedeckt, die
führenden Geiſter in den Vordergrund gerückt. Bei der weiſen Sparſamkeit,
mit welcher dem weniger Bedeutenden der Raum bemeſſen wurde, iſt es möglich
geweſen, bei den großen Dichtern des Mittelalters wie der Neuzeit ausführlich zu
verweilen, und ſtaunend trifft der— Leſer dort eine erhellende Analyſe eines Goetheſchen
Gedichtes, wo man ſonſt mit toten Zahlen und Titeln ſich zu begnügen bemüßigt
war. In feſſelnder Darſtellung, in einem an den beſten Muſtern geſchulten und
doch eigentlich ſelbſtgeſchaffenen Stile, in warmer Begeiſterung und erhebender
Weiſe reißt Scherer ſeine Leſer mit ſich fort, und doch trübt er ihnen niemals
den hellen Blick, dringt ihnen nirgends „die Brille einer beſtimmten Partei auf“;
er „bekennt ſich nur zu der berechtigten Parteilichkeit des Litterarhiſtorikers, welcher
alles mit Freude begrüßt, was zur litterariſchen Blüte hinfthrt, und alles mit
Trauer beobachtet,?was von derſelben ableitet“. Und inſofern will ſein Buch „aller—
Geſchichte der deutſchen Litteratur. Von Wilhelm Scherer.
Berlin, Weidmannſche Buchhandlung, 1883. XIEund 814 Seiten.
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„Der deutſche Büchermarkt iſt ſeit einiger Zeit mit Litteraturgeſchichten über—
ſchwemmt. Und doch mangelt es durchaus an einem Werke, welches nicht aus
zweiter und dritter Hand, ſondern aus den Quellen ſelbſt geſchöpft, auf der Höhe
der heutigen Wiſſenſchaft ſtünde und in künſtleriſch freier Anordnung, aber auf
das Weſentliche beſchränkt, ein umfaſſendes und anſchauliches Bild der geiſtigen.
Entwickelung unſerer Nation zu geben verſuchte“. Dieſes lang vorbereitete und
ſehnſüchtig erwartete Werk liegt nun abgeſchloſſen vor. Der begabteſte und viel—
ſeitigſte Forſcher auf dem Gebiete germaniſtiſcher Philologie und deutſcher Litteratur—
geſchichte, zu welchem als dem berufenen Führer im Momente ſchmerzlichen Ver—
luſtes aller Blicke ſich erheben, hat ſich dieſer ſchwierigen Aufgabe unterzogen
und ſie auf wahrhaft glänzende Weiſe gelöſt. „Kurz und überſichtlich und doch
nicht zu knapp“, hat er der Nation „den Gang ihrer innerſten individuellſten
Entwickelung dargelegt“; mit ſcharfem Blick hat er die Perioden dieſer Ent—
wickelung geſchieden und einzeln charakteriſiert, mit ſicherer Hand hat er die
Maſſen gruppiert, die leitenden Ideen der jeweiligen Zeitſtrömung aufgedeckt, die
führenden Geiſter in den Vordergrund gerückt. Bei der weiſen Sparſamkeit,
mit welcher dem weniger Bedeutenden der Raum bemeſſen wurde, iſt es möglich
geweſen, bei den großen Dichtern des Mittelalters wie der Neuzeit ausführlich zu
verweilen, und ſtaunend trifft der— Leſer dort eine erhellende Analyſe eines Goetheſchen
Gedichtes, wo man ſonſt mit toten Zahlen und Titeln ſich zu begnügen bemüßigt
war. In feſſelnder Darſtellung, in einem an den beſten Muſtern geſchulten und
doch eigentlich ſelbſtgeſchaffenen Stile, in warmer Begeiſterung und erhebender
Weiſe reißt Scherer ſeine Leſer mit ſich fort, und doch trübt er ihnen niemals
den hellen Blick, dringt ihnen nirgends „die Brille einer beſtimmten Partei auf“;
er „bekennt ſich nur zu der berechtigten Parteilichkeit des Litterarhiſtorikers, welcher
alles mit Freude begrüßt, was zur litterariſchen Blüte hinfthrt, und alles mit
Trauer beobachtet,?was von derſelben ableitet“. Und inſofern will ſein Buch „aller—