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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Traeger, Albert: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [1], Beim Scheiden aus dem alten Heim
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Liman, Paul: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [2], Im neuen Reichsheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0147

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56

MODERNE KUNST.

I

gerade keinen Durst hatten. Iiier ging ein Einsamer in tiefem Brüten _

gedankenschwer umher, wandelten Gruppen in ernsten und zwanglosen ......^ ^[iTl fl Q LI Q l"l .Xa|v6 1 C §> 1} Q { Iii

Gesprächen auf und nieder, belehrte wohl auch und überzeugte ein *V ( C

Minister einflussreiche oder schwankende Anhänger. Gewöhnlich aber sass Von Paul Liman.

alles durch einander, vergnüglich plaudernd, und lachte über gute und -•*"••

schlechte Witze, man hörte Geschichten zu, an denen auch gereifte und (^t^Y eunmal ist das deutsche Volk zu neuen Wahlen geschritten, seitdem der

gesetzte Männer, wenn sie gerade unter sich sind, sich noch zu ergötzen Reichstag die Errichtung des stolzen Gebäudes beschloss, das künftig

pflegen. Plötzlich ein schrilles anhaltendes Klingeln an allen Ecken und sein Heim sein soll. Nur Wenige von denen, die damals begeistert dem

„ , _ . , j ., Antrage Braun zustimmten, einen neuen Parlamentsbau zu errichten, sind heute

Enden, und mitten im Satz stiebt alles aus einander zur — Abstimmung. . ,. ' . _ . , u m i, .

' noch Mitglieder des Reichstags. Viele sind gestorben, Manche haben sich, müde

So war es, und wie wird es werden? Alles fängt wieder von vorn deg Kampfes> zurückgczc,gen von dem Schauplatze der Oeffentlichkeit. Andere
an und was der Hauptspass, die ältesten wie die jüngsten Parlamentarier, wiederum wurden wider Willen durch die launische Volksgunst fortgespült von
jeder muss wieder eine Jungfernrede halten! dem heissumworbenen Platze. Mancher charakteristische Kopf ist nicht mehr

-•—•- sichtbar unter den 397, die fortan die neuen Prachtsäle bevölkern.

Auch auf den Plätzen, die der Bundesrath einnimmt, ist der
Wechsel der Zeiten deutlich geworden. Nicht einer von den
Männern, die vor einem Vierteljahrhundert die Autorität der
Bundesfürsten vertraten, nimmt im neuen Hause den KampT
aut. In der Einsamkeit von Friedrichsruh weilt Fürst Otto von
Bismarck, dem jetzt die Nation vor dem Reichstagsgebäude ein
Denkmal zu errichten sich anschickt. Der tapfere Bayer Lutz,
Vambüler, der bekehrte Württemberger Particularist, Graf Fabrice,
der Reorganisator der sächsischen Armee, sind todt. Von den
preussischen Ministern ist keiner mehr im Amte. Graf Albrecht
Roon ruht längst aus von den Mühsalen der Conflictszeit, Falk
lebt in politischer Zurückgezogenheit in Hamm, und auch der
fromme Sänger des Liedes „Grad' aus dem Wirthshaus komm'
ich heraus", Heinrich von Mühler, ängstigt sich nicht mehr vor
der entsittlichenden Wirkung nackter Figuren. Selbst von den
Männern, denen noch vor wenigen Wochen bestimmt schien, als
Vertreter Preussens die parlamentarischen Schlachten zu schlagen,
sind Manche noch in letzter Stunde verschwunden, Graf Caprivi
voran. Jetzt wird als der vornehmste Vertrauensmann des Kai-
sers Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der damals,
als man den Neubau beschloss, der erste Vicepräsident des
Hauses war, den Debatten einen neuen Stempel aufprägen. Wie
er einst durch die vornehm-ruhige Weise des echten Aristokraten
sich das Vertrauen der parlamentarischen Collegen gewann, so
wird er ohne Zweifel auch künftighin in sachlich maassvoller
Weise die Ansichten der Regierung vertreten.

Fürst Hohenlohe ist kein schlagfertiger Redner, er wird die
Führung der Debatte seinen gewandteren Gehülfen, den Herren
von Koller, von Boetticher, Graf Posadowsky und Miquel über-
lassen. Herr von Koller hat sich die parlamentarischen Sporen
schon in den Jahren 1881—1887 verdient, da er als konservativer
Percy mit Eugen Richter erbitterte Scharmützel lieferte. Für seine
Reden erntete er damals vielfach dankbare Heiterkeit. So vor
allem, als er am 1. Juli 1883 gehobenen Muthes ausrief: „Meine
Herren, ich bin in meinem Leben noch nie verlegen gewesen."

Im reichsländischen Verwaltungsdienste
dürfte Herr von Koller manche Kante abge-
schliffen und sich mehr auf den Ton des
vielgewandten Herrn von Boetticher ein-
gestimmt haben. Herr von Boetticher ist
in der That das Muster eines Sprechmini-
sters. In allen Gebieten leidlich zu Hause,
spricht er nie aggressiv, stets jovial, am
jH^^^^^H^HHHHHr •' 'WiISMK I den Hosentaschen.

-jsSlH^HVj^IädBB&Sm&ff WKmf 1" den Mussestunden ist ein flotter Skat

}• ^MBpKgwBf i ÄpS.-i.--- seine Lieblingserholung. Sein wohlwollend

'""y" ' '1 jHFF ~§Umt ' . .jftjjfl-Tl " 1" jf gerundetes Antlitz und das behäbige Bäuch-

,-«™=»iiw»^y '-_jMI^^S^>ÄW mipl " lein machen es verständlich, dass er bei der

Aflf ^sHHl Berathung des sogenannten Klebegesetzes

rjk^fc s^s?'' den menschenfreundlichen Satz „leben

BLl^^JS *;CSiP*r %»|KB und leben lassen" als seinen Wahlspruch

! I IfcV' proklamirte, wobei allerdings das Echo

' -.\ ."^^^^^^^^^N^^^^gg^^^^^^^^^^^^^^^ Bambergens „kleben und kleben lassen"

ÄlW-k . fS^Aus .V. der Kassenwart des Reichs, spricht flies-

|J|| ifÄ'^i^^^Ä^ ^^SSfgL^ "Ss^ send und gewandt, wenn auch nicht so

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P^Wflr- 'f' ZU ergehcn' Man llat lhn anfangs vielfach

«—- J| r^te-'f^SS^ÄS^^L, unterschätzt und ihn nur für eine Null

W\ ,WW^^_ gehalten, die erst durch den Einer Miquel

ifl»" %^~y^y^-/?: eine gewisse Bedeutung erhalte. Man hat

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Im Lesezimmer des Reichstages.
 
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