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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 27.1916

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Corwegh, Robert: Architektonische Schönheit oder Stimmung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10023#0220

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194 INNEN-DEKORATION

PROFESSOR HEINRICH METZENDORF »GARTEN KOMM.-RAT EULER —BENSHEIM«

ARCHITEKTONISCHE SCHÖNHEIT ODER STIMMUNG

Wenn ein Raumgebilde sich von der umgebenden
Natur zu selbständiger Geltung loslöst, dann be-
ginnt das Reich des Architektonischen. Sein Maß und
sein Gesetz bleibt der Mensch, auch wenn es über Men-
schenmaße sich zum Gewaltigen erhebt. Wie die Glieder
des Menschen im bestimmten Verhältnis untereinander
und zur ganzen Gestalt stehen, so auch die Glieder eines
Bauwerks. Symmetrie und Proportion, herrschend im
Bau des Menschen, üben ihren gebietenden Zwang auf
die architektonische Schöpfung. Mit diesem vom Men-
schengeist vorgeschriebenen Gesetz tritt die Architektur
der Naturgesetzlichkeit gegenüber wie die Gesittung des
Menschen »in die beharrliche Bedingung aller willkür-
lichen Handlungen« (Kant).

In der Erkenntnis des Herausragenwollens der Bau-
kunst aus aller Umgebung, Baum, Busch und Himmel,
überzogen die Griechen ihre Tempel mit dem Gewand
der Farbe. In Buntheit leuchtend überstrahlten diese die
Bläue des südlichen Himmels. Die Russen vergolden die
Zwiebelkuppeln ihrer Kirchen; denn sie sollen nicht mit
dem Grau der Atmosphäre zusammengehen, sich frei von
ihr lösen. Schon jede Patina auf Kupfer bedeutet einen
Eingriff in diese Freiheit. Daher die patinierten Dächer
auch mitwirken als Stimmungsträger in der Landschaft.

Bedeutete architektonische Schönheit Selbständigkeit
des Bauwerks, so müssen wir Stimmung im Gegensatz
hierzu als ein Eingehen und Einfühlen in die Natur be-
zeichnen. Daher spüren wir die Stimmung am deutlich-
sten, wo der Eingriff am stärksten zu Tage tritt, an der
Ruine. Auch das architektonische Gebilde kennt Stim-
mung; allein vorzüglich im Innenraum. Hohe Räume
stimmen den Menschen heiter, sie erheben ihn. Niedere
dunkle Räume drücken nieder, verdüstern die Stimmung.
Diese Stimmung aber ist vom Menschen, von seinen Ver-
hältnissen abhängig. Anders die Stimmung in der Natur.
Freilich auch sie bedarf des fühlenden Menschenherzens,
um gespürt zu werden, und erst die Zeit eines Rousseau
entdeckte sie für die Menschheit. Aber die Natur als
Stimmungsträger bleibt nur in sofern vom Menschen ab-
hängig, als menschliche Gefühle und Beseelung in sie
projiziert werden.

»Ehemals war diese Villa nach dem Zwange der
Symmetrie eingerichtet und diente zum Paradeplatze der
Repräsentation eines Kardinals. Aber schon seit langer
Zeit hat die Vernachlässigung ihrer gegenwärtigen Be-
sitzer die Natur in ihre vorigen Rechte wieder eingesetzt.
Sie gibt nun wahreren Genuß. Wie einladend zu hoher
Begeisterung sind auch jetzt ihre verwachsenen Gänge!
 
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