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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 21.1910

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Westheim, Paul: Stilleben-Wohnung oder Häuslichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.11378#0105

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INNEN-DEKORATION

STILLEBEN-WOHNUNG ODER HÄUSLICHKEIT.

Merkwürdig, das verstaubte Makartstilleben ist in
diesen Jahren von tausend eifernden Zungen be-
kämpft worden, und nun, da die Wohnung des gebildeten
Bürgers vom Sammetjoppengeist nahezu gereinigt ist,
gilt es aufsneue eine Stillebenromantik abzuwehren,
die aus der Häuslichkeit ein Kaleidoskop der
raffiniertesten Stimmungsnuancen machen
möchte. Die Neigung, aus Schränken, Tischen, Pot-
terien, Textilien und dergleichen nützlichen Dingen
Cezannesche Motive zu stellen, hat den ästhetisierenden
Snob ergriffen. Der Mensch sinkt in solcher Auffassung
herab zu dem Nervenapparat, der pflichtschuldigst auf
die Reize dieser dekorativen Pathetik zu reagieren hat.
Eine Treibhausatmosphäre schwüler Künstlichkeit soll
jede Stunde seine Sinne aufpeitschen, der Blick auf ein
Tischbein eine Baudelairesche Verzückung auslösen . . .

Dieses feminine Kokettieren mit Schaustücken
ist sicherlich Entartung. Der besonnene Mann wird
im stillen Alltag jede künstliche Ekstase zu vermeiden
trachten, erfordert von seinem Hausrat Behaglichkeit,
Diskretion und schweigende Würde. Unter all den
Kulturinteressen, denen er seine Aufmerksamkeit widmet,
ist die Sorge um die Wohnungseinrichtung eine der An-
gelegenheiten, die, einmal zweckvoll geordnet, ihn
nicht dauernd beunruhigen oder erregen dürfen.

Alle Erziehungsarbeit, die gerade auf diesem Gebiet
zu leisten war, mußte darauf ausgehen, dem großen
Publikum seine unbestimmten Wünsche und Empfindungen

klar zum Bewußtsein zu bringen. Es galt ihm begreiflich
zu machen, daß seine Hingabe an das theatralische
Stilleben nur eine Selbsttäuschung sei, daß es sich wohler
und froher fühlen müsse zwischen den Gegenständen,
die von jeglicher Gespreiztheit erlöst worden sind.
Natürlich gibt es viele, die weder klare Bedürfnisse
noch ein selbständiges Ürteil haben. Denen mit Rat
und Aufklärung, ja mit kategorischen Forderungen ent-
gegenzutreten, ist nützlich und notwendig. Man muß
diesen Leuten die Augen öffnen, ihnen durch Gegen-
beispiel und Beispiele das Barbarische verübeln. Aber
auch sie werden sich niemals das Recht ihres Geschmackes
nehmen, werden sich zweifellos ihr Behaglichkeitsbe-
dürfnis nicht ästhetisch einengen lassen. Wer nutzbare
und absatzfähige Möbel machen will, muß jedes allzu
individuelle Moment unterdrücken. Er muß neutrale
Geräte herstellen, Geräte, die fast überall gut stehen
und die nicht sofort erdrückt werden von einem Fremd-
körper, dessen Anschaffung aus irgend welchem Grunde
notwendig geworden. Gerade der feiner Empfindende
muß solche Rücksicht verlangen. Dissonanzen, die sich
etwa ergeben, werden ihm unerträglich sein. Und wer
ist sich heute ganz klar über seine und seiner Familie
Bedürfnisse auf zehn oder zwanzig Jahre hinaus? Ein
Ausstellungsraum bleibt unangetastet. Seine Voraus-
setzungen ändern sich nicht. Wohl aber die Voraus-
setzungen für einen Wohnraum, in dem sich ein ganzes
Stück Leben abrollt. Schließlich werden alle möglichen
 
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