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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 42.2009

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Carqué, Bernd: Epistemische Stile der Vergegenwärtigung: französisches und ungarisches Mittelalter auf der Pariser Weltausstellung 1900
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https://doi.org/10.11588/diglit.51714#0070

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ŠTÚDIE / ARTICLES

II.

ARS 42, 2009, 1

Epistemische Stile der Vergegenwärtigung.
Französisches und ungarisches Mittelalter auf der Pariser
Weltausstellung 1900

Bernd CARQUÉ

Zwei monumentale Inszenierungen von Ge-
schichte standen dem vor Augen, der im Jahre 1900,
als Paris Schauplatz der Weltausstellung war, auf dem
Pont de l’Alma die Seine überquerte. Richtete er
seinen Blick flußabwärts, so gewahrte er entlang des
Quai de Billy ein vielteiliges Gebäudeensemble, das
unter dem Rubrum Le Vieux Paris architektonische
Zeugnisse der vorrevolutionären Stadtgeschichte
in Nachbauten und Rekonstruktionen zu einem
ephemeren Stadtviertel vereinte [Abb. I].1 Wandte er
sich flußaufwärts, so fiel sein Blick auf die am Quai
d’Orsay errichteten Pavillons der Rue des Nations,
unter denen derjenige des Königreichs Ungarn her-
vorstach, da nur dieser weder ein einzelnes Bauwerk
noch einen bestimmten Baustil als Wahrzeichen und
Inbegriff des Landes zur Anschauung brachte,2
sondern Monumente aus sieben Jahrhunderten in
Teilnachbildungen und Motivzitaten zu einem Ge-
bäudekomplex verschmolz [Abb. 2].3

1 ROBIDA, A.: Exposition universelle de 1900. Le Vieux Paris.
Guide historique, pittoresque et anecdotique. Paris 1900. Siehe wei-
tere Literatur unten in Abschnitt II.
2 Zur Typologie der Länderpavillons MEIER-GRAEFE, A. J.:
Die Architektur der Weltausstellung. In: MEIER-GRAEFE,
A. J. (Hrsg.): Die Weltausstellung in Paris 1900. Paris — Leipzig
1900, S. 21-40, hier S. 25-37.
3 RADISICS, E. de: Le Pavillon historique de la Hongrie à /'Exposi-
tion Universelle de Paris en 1900. Ouvrage [...] rédigé avec le concours
de Émeric de SZALAY et Arpád de GYÖRY. Paris (1902). Siehe
weitere Literatur unten in Abschnitt III.

Le Vieux Paris und der ungarische Pavillon be-
ruhten gleichermaßen auf dem Strukturprinzip der
simultanen Verdichtung von zeitlich wie räumlich
auseinanderliegenden Bauten oder Gebäudeteilen
zu einem hybriden Ensemble, beider Erscheinungs-
bild wurde trotz des weitgespannten Zeithorizonts
seiner Bestandteile unverkennbar von Motiven des
Hoch- und Spätmittelalters dominiert. Wiewohl diese
Inszenierungen von Geschichte daher den Eindruck
engster konzeptioneller Verwandtschaft erwecken
mußten, hätten sie einander doch fremder kaum
sein können. Unter ihrer historisierenden Oberflä-
che, durch die beide Ausstellungsbauten in einem
komplexen Zusammenhang mit dem künstlerischen
Historismus4 wie vor allem mit den Wahrnehmungen,
Deutungen und Darstellungen des Mittelalters in der
Moderne5 standen, verbargen sich fundamentale Ab-
weichungen politisch-kultureller, programmatischer,
wissenschaftsgeschichtlicher und epistemologischer
4 Grundlegend orientiert FILLITZ, H. (Hrsg.): Der Traum vom
Glück. Die Kunst des Historismus in Europa. Wien 1996.
5 Jüngere Überblicke geben DE MAEYER, J. — VERPOEST,
L. (Hrsg.): Gothic Revival. Religion, Architecture and Style in Western
Europe 1815—1914. Leuven 2000; OEXLE, O. G. — PETNE-
KI, Á. — ZYGNER, L. (Hrsg.): Bilder gedeuteter Geschichte. Das
Mittelalter in der Kunst und Architektur der Moderne. 2Bde. Göttin-
gen 2004; CASTELNUOVO, E. - SERGI, G. (Hrsg.): Arti e
storia nelMedioevo. Bd. IV: IlMedioevo alpassato e alpresente. Torino
2004; CARQUÉ, B. - MONDINI, D. - NOELL, M. (Hrsg.):
Visualisierung und Imagination. Materielle Relikte des Mittelalters in
bildlichen Darstellungen der Neuheit und Moderne. 2 Bde. Göttingen
2006; BAK,J. M. -JARNUTJ. (Hrsg.): Gebrauch und Mißbrauch
des Mittelalters, 19. — 21. Jahrhundert. München 2009.

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