5.9.2024Ausstellung „NS-Raubgut in der UB Heidelberg: Zensur, Raub, Beschlagnahmung"
Seit dem 2. September zeigt die Universitätsbibliothek Heidelberg in vier Vitrinen im Erdgeschoss der Hauptbibliothek die Ausstellung „NS-Raubgut in der UB Heidelberg". Präsentiert werden insgesamt 13 Objekte, von beschlagnahmten Büchern über Auszüge aus der Separata-Kartei der UB in der NS-Zeit bis hin zu einem Schreiben der Staatsbibliothek zu Berlin, in dem die Aufstellungspraxis für unerwünschte oder verbotene Literatur geregelt ist (Leihgabe des Universitätsarchivs). Die Ausstellung basiert auf ersten Ergebnissen des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg geförderten Projekts zu NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek. Im Rahmen des Projekts werden die Zugänge der Jahre 1933-1950 erstmals systematisch untersucht mit dem Ziel, die Geschichte von Zensur, Raub, Enteignung und Beschlagnahmung zu dokumentieren und gegebenenfalls Bestände zu restituieren.
Die Einarbeitung der beschlagnahmten Literatur in den Bestand der Universitätsbibliothek Heidelberg begann bereits vor der zentralen Anordnung ab 1938. In Heidelberg oblag es dem Stadtbibliothekar Georg Zink, der bereits bei der Bücherverbrennung 1935 eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, Werksbibliotheken und Leihbüchereien auf unerwünschte Titel zu durchsuchen. Wie willkürlich dies geschah, zeigt das ausgestellte Buch „Arthur Zapp: Eine Künstlerehe [ca. 1905]“ aus dem Bestand der Bibliothek der Tabakfabrik B. Hochherr & Co. GmbH in der Heidelberger Weststadt. In vorauseilendem Gehorsam wurden selbst Bücher beschlagnahmt, die nicht auf den einschlägigen Listen verbotener oder unerwünschter Literatur standen.
In diesem Beispiel spiegelt sich nicht nur ein Teil der Geschichte geraubter Kulturgüter, sondern auch ein Teil der NS-Verfolgungsgeschichte insgesamt. Die jüdische Familie Hochherr konnte sich trotz Flucht nach Amsterdam der Verfolgung nicht entziehen. Die meisten Familienmitglieder wurden in Auschwitz ermordet.
Die Geschichte des NS-Raubes wird in der Ausstellung exemplarisch anhand verschiedener Gruppen von Beraubten, verschiedener Gruppen von Raubgütern sowie der Raub- und Transaktionswege dargestellt, die von Heidelberg bis in den Osten Europas und über das Kriegsende hinaus reichen. So stammt „S. E. Fris: Anatomny spktry, 1933“ aus der Universitätsbibliothek Woronesch, ca. 500 km südlich von Moskau, das Anfang Juli 1942 von deutschen Truppen eingenommen wurde. Bei den Büchern, die aus osteuropäischen Bibliotheken nach Heidelberg gelangten, handelte es sich zumeist um Schenkungen von Privatpersonen. Die Beschlagnahmung ganzer Bibliotheken durch NS-Rauborganisationen wie den Einsatzstab des Reichsleiters Rosenberg wiederum diente dem Aufbau einer geplanten neuen NS-Universität und lief an dezentralen Bibliotheken wie der UB Heidelberg vorbei.
Auch der Kauf in Antiquariaten spielte eine wichtige Rolle bei den Zugangswegen. Ein Beispiel dafür ist in der Ausstellung „Auguste Cabanes: Le Cabinet Secret de l’Historie, 1905“ aus der Sammlung des österreichischen Büchersammlers Ferdinand Jellinek-Mercedes, der sich 1939 wegen drohender Verfolgung aufgrund seiner jüdischen Abstammung das Leben nahm. Das ausgestellte Buch wurde 1942 von der UB antiquarisch erworben und in den Bestand aufgenommen. Häufig gelangten Bücher mit großer zeitlicher Verzögerung auch nach dem Krieg in den Bestand, wie das Beispiel eines Buches aus einer Prager Logenbibliothek zeigt, das zwischen 1939 und 1945 geraubt worden sein muss und 1950 von der UB erworben wurde.
Auch wenn es bereits Vorkenntnisse aus früheren Projekten gab und inzwischen Provenienzforschungen anderer Bibliotheken vorliegen, ist das Projekt für die Erforschung der Heidelberger Situation von grundlegender Bedeutung. So wurden bisher 7.000 Bücher untersucht, die zwischen 1933 und 1950 in den Bestand der UB gelangten und mindestens 5 Jahre vor dem Zugang erschienen, also potentiell raub- oder beschlagnahmungsverdächtig sind. Aufgrund bestimmter Provenienzmerkmale konnten 450 Bücher als sicheres Raubgut, wahrscheinliches Raubgut oder stark verdächtig eingestuft werden. „In den Fällen, in denen wir Vorbesitzer ermitteln können, bieten wir die Bücher den rechtmäßigen Erben an. Auch wenn diese die Bücher nicht zurücknehmen, erhalten wir allein durch das Angebot sehr positive Reaktionen“, sagt Projekbearbeiter Dr. Christian Gildhoff. Für die Identifizierung werden die relevanten Seiten der ausgewählten Bände digitalisiert und über die Datenbanken Cultural Looted Assets und Lost Art weltweit online zur Verfügung gestellt.
„Mit der Identifizierung und Digitalisierung von Büchern, die unrechtmäßig in den Besitz der Universitätsbibliothek Heidelberg gelangt sind, leisten wir einen Beitrag zum wichtigen Feld der bibliothekarischen Provenienzforschung in Deutschland“, so Bibliotheksdirektor Dr. Jochen Apel. „Auch wenn eine Rückgabe an die rechtmäßigen Vorbesitzer nur in wenigen Fällen möglich sein wird, dient das Projekt der Aufarbeitung der Enteignungs- und Verfolgungsgeschichte in der NS-Zeit im Raum Heidelberg und darüber hinaus.“
Die Ausstellung ist bis zum 28. Februar 2025 täglich zu den regulären Öffnungszeiten der Universitätsbibliothek geöffnet.