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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
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II. „Hinaus in die Zukunft leben“ – von Preußen nach Heidelberg

„Ich sehne mich nach einem fernliegenden Ziele“ – Kindheit und Jugend in Ostpreußen

Einer unbeschwerten Kindheit in Masuren folgten die Wünsche und Sehnsüchte des „Backfischs“. Die Tagebucheinträge Marie Schröters aus ihrer Jugend sprechen von ihrem Ehrgeiz und Bildungshunger. Für sie als Mädchen waren diesen Bestrebungen jedoch Grenzen gesetzt.

Gotheins früher Bildungsanspruch drückt sich in ihrer Lektüre aus, sie bewertete Thedor Storms Novellen als „echte deutsche Poesie“. Auch die Lektüre Goethes beeinflusste sie. Aus dessen „Hermann und Dorothea“ übernahm sie sogar Anregungen für ihr Leben: „oft halte ich mir die schönen Goethe’schen Worte vor, die immer, wenn ich sie lese, einen großen Eindruck auf mich machen, eine Stelle, wo er seine Dorothea sagen lässt: ‚Dienen lerne beizeiten das Weib nach seiner Bestimmung.‘“ Dieses Rollenmodell lehnte sie in ihrem späteren Leben allerdings vehement ab.

Diese Zitate stammen aus ihren verlorenen Tagebüchern, aus denen sich Auszüge im Erinnerungsbuch ihres Sohnes Werner erhalten haben.

Geboren wurde Marie Luise Schröter am 12. September 1863 in Passenheim in Ostpreußen als Tochter eines Amtsrichters. In ihren „Kindheitserinnerungen“, die sie 1931 begann und nicht zu Ende führte, berichtet sie von einer unbeschwerten, naturverbundenen Kindheit. Schon als Kind haderte Gothein jedoch damit, nicht als Junge geboren worden zu sein. Sie beschreibt, wie es ihr „grösster Ehrgeiz“ war, „an den Jungenspielen teilzunehmen“ und wie dies durch herrschende Rollenkonventionen unterbunden wurde:

[...] im Klettern hab ich es immer den Jungen gleich tun können – aber tief hat sich mir der Zwang der täglichen häuslichen Handarbeit eingeprägt, ein Mädchen muss stricken lernen daran hielt auch die Mutter fest und wenn ich mich noch so sehr mit den Schularbeiten beeilte um gleich mit den Jungens zum Spiel hinaus zu kommen – nach einiger Zeit ertönte doch die Stimme vom Hause: ‚Kindchen hast du deine Strickerei schon fertig‘. Natürlich hatte ich sie nicht, und mit manch heimlichen Tränen musste ich mich an den verhassten Strumpf setzen [...], während von draußen das lustige Geschrei der Jungens hereintönte [...].“ [Seite 4v, Zeile 1ff.]

Als Marie Schröter etwa 13 Jahre alt war, zog die Familie nach Breslau. Schon ein Jahr später lernte sie dort den zehn Jahre älteren Privatdozenten Dr. Eberhard Gothein als ihren Lehrer kennen, den sie 1885, 22-jährig, heiratete. Auch davon berichten die „Kindheitserinnerungen“. Eberhard Gotheins Karriere als Professor, zunächst in Karlsruhe, dann Bonn und später Heidelberg, ermöglichte seiner Frau ihre intellektuelle Entfaltung.

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