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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

V. Fälschungen und Bücher: Gestern, heute – morgen?

Wie mit dem Einleitungszitat zu Sektion I, „Fälschungen, wohin man sieht“, aus William Gaddis’ Roman Die Fälschung der Welt von 1955 angesprochen, ist die Fälschung allgegenwärtig – und dies, wie der in der Sektion II eröffnete Blick auf die Antike zeigt, in räumlicher wie in zeitlicher Hinsicht: Kunstfälschungen sind nicht nur omnipräsent, sondern es scheint sie auch schon so lange zu geben, wie Kunst mit bestimmten Werten belegt wurde.

Fälschungen sind aber nicht nur hinsichtlich Raum und Zeit omnipräsent, Fälscher schleusen auch – unabhängig voneinander – gleichzeitig oder in dichter Folge mit ähnlichen, jeweils auf Bücher rekurrierenden Methoden ihre Werke in den Kunstmarkt ein. Als Motiv nennen sie nicht selten ihre Verachtung den Kunstkritikern und Kunsthändlern gegenüber. So etwa Han van Meegeren oder auch der 1984 verstorbene britische Maler und Restaurator Tom Keating, der bis zu 2.000 gefälschte Gemälde nach über 100 verschiedenen Künstlern auf den Markt gebracht hatte. Da Keating nachweisen konnte, tatsächlich immer wieder absichtlich kleine Fehler in seine Fälschungen eingebaut zu haben, die dazu gedacht waren, die Sorgfalt der Experten bei der Begutachtung der Gemälde auf den Prüfstand zu stellen, und da er sich zudem gesundheitlich in einem schlechten Zustand befand, wurde der nach seiner Verhaftung im Jahre 1977 eröffnete Prozess gegen ihn bald wieder eingestellt. Im gleichen Jahr erschien die von der Journalistin Geraldine Norman und ihrem Ehemann Frank aufgezeichnete Biografie Keatings, die diesem auch zu einer eigenen, 1982 und 1983 ausgestrahlten Fernsehserie verhalf, in der Keating publikumswirksam die Maltechniken berühmter Künstler erklärte. Währenddessen war in Deutschland der Maler, Drucker und Galeriebesitzer Wolfgang Lämmle bereits damit beschäftigt, Druckgrafik- und Malereifälschungen – unter anderem nach Vorlagen, die er Büchern entnommen hatte – nach Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts anzufertigen und zu vertreiben. 1988 flog er damit auf und wurde zu einer Bewährungs- sowie einer Steuerstrafe verurteilt. Während seines Gerichtsverfahrens waren unterdessen in Großbritannien das Fälscherduo John Drewe und John Myatt und in Deutschland Wolfgang Beltracchi aktiv: Myatt malte im Auftrag von Drewe Fälschungen nach Meistern der Klassischen Moderne, Drewe fälschte und manipulierte dazu passend Galerie- und Ausstellungskataloge so, dass sie den Eindruck erweckten, die Bilder seines Komplizen seien bereits Jahrzehnte zuvor in ehrwürdigen Galerien gezeigt worden und von daher garantiert echt. Da Drewe diese gefälschten Kataloge sodann in die Archive eben dieser Galerien sowie in die Bestände von Kunstbibliotheken einschmuggelte, war die Täuschung geradezu perfekt, weshalb Myatts Fälschungen auch zunächst keinen Argwohn erweckten. Beltracchi, der ab Mitte der 80er Jahre mit seinen Fälschungen nach Künstlern wie Johannes Molzahn und Heinrich Campendonk begonnen hatte, sollte später ebenfalls ein geschicktes System entwickeln, um seinen Fälschungen eine vermeintlich ehrwürdige Provenienz zu geben. Während Drewe dazu Kataloge selbst fälschte, verstand Beltracchi es zudem, seine Fälschungen unter anderem in seinerzeit gerade im Entstehen begriffene Werkverzeichnisse der von ihm gefälschten Künstler einzuschleusen. Bald nachdem er mit dieser Art von Fälschungen begonnen hatte, tauchte ein angeblich im Gefolge des Berliner Mauerfalls in einer Garage bei Dresden entdecktes Konvolut aus surrealistisch-konstruktivistischen Collagen auf, die von einem 1958 verschwundenen deutschen Künstler namens Karl Waldmann stammen sollen. Die seit Anfang der 90er Jahre immer wieder ausgestellten und verkauften Werke, die Waldmann als seit den 20er Jahren aktiven Künstler an der Schnittstelle zwischen Bauhaus-Ästhetik, russischem Konstruktivismus, politischer Widerstandskunst, Surrealismus und sogar bereits feministisch-ökologischen Themen ausweisen, gerieten jedoch schon bald nach der Jahrtausendwende unter Fälschungsverdacht: Waldmann, so die Vermutung, scheint es als Person nie gegeben zu haben; der Künstler wurde eigens dazu erfunden, um Collagen, die zwar mit Material aus Büchern der 30er und 40er Jahre arbeiten, jedoch eventuell erst in jüngerer Zeit gefertigt wurden, mit einer wertsteigernden Geschichte zu umgeben. Nur wenige Jahre bevor diese Werke erstmals in Paris ausgestellt wurden, brachte der deutsche Kunsthistoriker und Dalí-Experte Ralf Michler eine Reihe von gefälschten Dalí-Zeichnungen auf den Markt, die den Eindruck erwecken sollten, originale, von Dalí angefertigte Vorlagen für sehr bekannte Druckgrafiken des spanischen Künstlers zu sein, die Michler wenige Jahre zuvor im Rahmen eines gemeinsam mit dem Dalí-Spezialisten Lutz Löpsinger erstellten Werkverzeichnisses katalogisiert hatte. Anfang der 2000er Jahre wurde der Betrug entdeckt – just in dem Moment, in dem das Trio aus Herbert Schulte, Lothar Senke und Robert Driessen begann, über 1.000 Fälschungen nach dem Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti in Umlauf zu bringen. Der Fall konnte erst 2015 mit der Verhaftung und Verurteilung des niederländischen Kunstfälschers Robert Driessen abgeschlossen werden. Seine Komplizen, der Mainzer Kunsthändler Herbert Schulte und der aus der DDR stammende gelernte Lokführer Lothar Senke Reichsgraf von Waldstein, waren bereits vier Jahr zuvor zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Um den von ihnen vertriebenen Giacometti-Fälschungen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, hatte Senke eigens ein Buch mit dem Titel Diegos Rache geschrieben und veröffentlicht, in dem erzählt wurde, wie Diego, der Bruder von Alberto, angeblich zahlreiche von Giacomettis Werken heimlich vor dessen selbstzerstörerischem Zugriff gerettet habe, die später in den Besitz von Senke übergangen seien.

Deutlich wird also: Es wird immer weiter gefälscht, und: Bücher spielen bei der Konzeption, der Herstellung und dem Vertrieb von Fälschungen nach wie vor eine wichtige Rolle.

Diegos (angebliche) Rache: Der Fall Giacometti

Lothar Senke Graf von Waldstein: Diegos Rache. Der stille Magier, Band 1, Mainz 2004 (Kat.-Nr. V.1) Privatbesitz
Fotografie von Fälschungen im Stil Alberto Giacomettis von Robert Driessen
Stuttgart, Landeskriminalamt Baden-Württemberg

Zwischen 1998 und 2008 fälschte der Niederländer Robert Driessen im Auftrag des Mainzer Kunsthändlers Herbert Schulte und dessen Komplizen Lothar Senke mehr als 1.000 Skulpturen des Schweizer Bildhauers und Malers Alberto Giacometti. Driessen versah die von ihm geschaffenen Imitate mit gefälschten Signaturen und stattete sie darüber hinaus mit irreführenden Gießermarken aus, die suggerierten, die entsprechenden Skulpturen seien in jenen Gießereien entstanden, in denen Giacometti die Ausführung seiner Werke stets vornehmen ließ. Erleichtert wurden solche Fälschungen durch den Umstand, dass Giacometti immer wieder ein und dasselbe Werk zeitgleich von verschiedenen Gießern ausführen ließ. Angesichts der Rekordpreise, welche die Figuren Giacomettis erzielen – sein 1947 entstandener L’Homme au doigt wurde im Mai 2015 für 141 Millionen Dollar verkauft –, ist ein die verschiedenen Güsse ordnendes und zudem zwischen zu Lebzeiten, posthum entstandenen und gefälschten Skulpturen unterscheidendes Werkverzeichnis umso dringlicher. Es liegt aber, da bei den in Paris und Zürich ansässigen Giacometti-Stiftungen aktuell noch in Arbeit, bislang noch nicht vor. Obwohl die Unübersichtlichkeit über Giacomettis Werk dem Vorhaben des Fälschertrios zupass kam, sahen Schulte und Senke angesichts der großen Zahl der „Giacometti“-Skulpturen, die sie in den Markt zu schleusen beabsichtigten, die Notwendigkeit, den von ihnen vertriebenen Fälschungen eine plausible Geschichte zu verleihen. Um zu erklären, woher das große Kontingent an Figuren angeblich stammte, verfasste und publizierte Senke, der sich „Reichsgraf von Waldstein“ nennt, eigens ein Buch mit dem Titel Diegos Rache, in dessen Mittelpunkt Giacomettis jüngerer Bruder steht. Dieser hatte Alberto bei der Arbeit im Atelier geholfen und handwerkliche Vorarbeiten wie beispielsweise Gipsabgüsse und Skulpturengerüste ausgeführt. Von diesen historischen Tatsachen ausgehend, fabuliert Senkes Buch, dass Diego angeblich eine hohe Zahl an Figuren vor dem perfektionistischen Zerstörungswahn seines Bruders aus der Werkstatt gerettet habe, indem er sie in getreuen, „meisterlichen“ Gipsabgüssen kopierte. Anschließend habe er diese Gipse von den auch von Alberto stets beauftragten Firmen wie Susse oder Rudier in Bronze gießen lassen. Passend zu dieser Herkunftslegende fälschte Driessen eine hohe Zahl von Gegenständen, die angeblich von der Hand Diego Giacomettis stammen sollten, der ab 1950 als Designer zu arbeiten begonnen und um die 5.000 Möbel-Objekte und Skulpturen geschaffen hatte, die er an Freunde und Bekannte verkaufte. Nach ihrer Überführung wurde Schulte im April 2011 zu sieben Jahren und vier Monaten Haft verurteilt, Senke erhielt sogar neun Jahre Gefängnis. Die von ihnen vertriebenen bzw. noch gelagerten gefälschten Skulpturen wurden 2012 vernichtet. Driessen, der auch Skulpturen und Bilder weiterer Künstler gefälscht hatte, bot noch bis 2015 auf einer eigenen Website „original Giacometti reproductions“ zum Verkauf an, obwohl er bereits 2014 festgenommen worden war. Er wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt, die er in den Niederlanden verbüßen wird.

Vom Experten zum Fälscher: Ralf Michler und die gefälschten Dalí-Zeichnungen

Ralf Michler: Fälschung nach Salvador Dalí: „Bullfight“, No. 1, 1966; Aquarell und Tusche auf Papier, nach 1995; Stuttgart, Landeskriminalamt Baden-Württemberg (Kat.-Nr. V.6)

Bemerkenswert an dem Fall Michler ist weniger, dass ein zweibändiges Werkverzeichnis zu Salvador Dalí als Ausgangspunkt für eine Serie von Fälschungen diente, als vielmehr, dass hier Experte und Fälscher identisch waren: Gemeinsam mit Lutz Löpsinger hatte Ralf Michler 1994 und 1995 ein Werkverzeichnis erstellt, das gerade dazu dienen sollte, das Vertrauen in einen durch Fälschungen verunsicherten Handel mit Dalí-Grafiken wieder herzustellen. Löpsinger starb unmittelbar nach Erscheinen des zweiten Bandes, sein Kollege Michler geriet in finanzielle Nöte und tat sich deshalb mit einem Fälscher zusammen, der auf der Grundlage des Werkverzeichnisses und nach den Hinweisen Michlers Zeichnungen herstellte, die vorgaben, originale Arbeiten Dalís zu sein, nach denen die Grafiken ausgeführt waren. Im direkten Gegensatz zu jemandem wie Tom Keating hatte Michler den Weg vom Experten zum Fälscher eingeschlagen.

Aus Büchern heraus und in Bücher hinein: Wolfgang Beltracchi

Wie bei vielleicht sonst keinem anderem Fälscher spielten Bücher für Wolfgang Beltracchi eine zentrale Rolle bei der Konzeption, Ausführung und Lancierung von Fälschungen sowie dann auch – nach Beltracchis Entlarvung, Verhaftung und Verurteilung zu sechs Jahren Gefängnis – bei der Vermarktung seiner Geschichte: Er hatte zunächst in den 70er Jahren, damals noch unter seinem eigenen Nachnamen „Fischer“, die Werke unbekannterer Maler der Frühen Neuzeit durch sogenannte „Aufrestaurierungen“ verfälscht, indem er die entsprechenden Bilder, zum Beispiel durch die Einfügung von Figuren, attraktiver gemacht hatte. Später, ab den 80er Jahren, verlegte er sich auf die Totalfälschung von seinerzeit noch weniger bekannten deutschen Meistern der Frühen Moderne wie zum Beispiel Johannes Molzahn und Heinrich Campendonk. Hierbei bezog Fischer, der ab 1993 unter dem Familiennamen seiner Frau Helene Beltracchi arbeitete, seine Inspirationen aus Büchern und Katalogen: Durch sie lernte er Lebensumstände, Biografie und Werk der von ihm gefälschten Maler kennen, beobachtete Lücken in ihrem Œuvre, in die er hineinfälschen konnte, wählte konkrete Vorlagen für seine Fälschungen aus und suchte sich die entsprechenden Experten, die mit den Fälschungen getäuscht werden sollten. Diese Spezialisten stellten nicht nur ahnungslos die entsprechenden Echtheitszertifikate aus, sie gewährten den Fälschungen auch über ihre Werkkataloge Eingang in den Kunstmarkt und die kunstgeschichtliche Forschung. Selbst die Idee, Fotodokumente zu fälschen, um damit zu belegen, dass sich die entsprechenden Bilder angeblich bereits vor dem Zweiten Weltkrieg im Besitz von Helene Beltracchis Großvater Werner Jägers befunden hätten, will Beltracchi bei der Lektüre von Ausstellungskatalogen gekommen sein.

Nach ihrer Entlarvung und Verurteilung publizierten Beltracchi und seine Frau zwei Bücher mit ihren Biografien und ihrer im Gefängnis geführten Korrespondenz , die als Rechtfertigungen des von ihnen über Jahrzehnte begangenen Betrugs angelegt sind. Just in Büchern wurden die Fälschungen Beltracchis auch entlarvt, sein Fall aufgearbeitet und nach den Konsequenzen für alle davon betroffenen Bereiche (Kunstmarkt, Kunstgeschichte, Rechtsprechung, Kriminalistik, Kunsttechnologie, Sozialpsychologie, Wahrnehmungstheorie) gefragt.

Vom Original zur Fälschung: Der Fall Wolfgang Lämmle

Kurt Pfister / Richard Seewald: Deutsche Graphiker der Gegenwart, Leipzig 1920 (hier: Käthe Kollwitz, Selbstbildnis, Originallithografie, 32 x 14 cm, 1920) (Kat.-Nr. V.20)
Frank Norman / Geraldine Norman (Hrsg.): The Fake’s Progress, London 1977 (Kat.-Nr. 24)

Der Fälscher Wolfgang Lämmle ließ sich bei seinen in den 90er Jahren geschaffenen Grafikfälschungen nicht nur durch Bücher inspirieren, er verwendete diese auch als direkte Vorbilder: Im vorliegenden Fall griff Lämmle auf das 1920 von Kurt Pfister und Richard Seewald veröffentlichte Buch Deutsche Graphiker der Gegenwart zurück, da sich in diesem – neben acht Reproduktionen – auch 23 Originalgrafiken von Künstlern wie Lovis Corinth, Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Karl Schmidt-Rotluff, Heinrich Campendonk oder Max Pechstein befinden. In einem mehrstufigen Verfahren kopierte Lämmle die jeweils zu fälschenden Motive per Fototechnik auf eine Folie, bearbeitete diese und stellte auf dieser Grundlage Vorlagen her, mit denen er dann vermeintliche Originale nachdrucken konnte. Da er zum Teil jedoch Druckvorlagen in Kunststoff anfertigte und damit zum Beispiel Holzschnitten entnommene Motive nachdruckte, lassen sich bei einer genauen Betrachtung Unterschiede zwischen Original und Fälschung beobachten.

The Fake’s Progress: Der Fälscher und Hoaxer Tom Keating

Im Vergleich zum Werdegang des Dalí-Fälschers Ralf Michler nimmt sich die Laufbahn des britischen Fälschers Tom Keating geradezu wie deren Umkehrung aus. Denn während dieser vom Experten zum Fälscher mutierte, betätigte sich Keating nach seiner 1977 wegen Betrug erfolgten Verhaftung als Experte: Zwischen 1982 und 1983 nutzte er sein nach dem Zweiten Weltkrieg erworbenes Wissen dazu, dem britischen Fernsehpublikum die Maltechniken Alter und Moderner Meister zu demonstrieren – und hatte damit großen Erfolg. Wie andere Fälscher auch, bezog Keating sein Wissen über Kunstrestaurierung und -fälschung aus Büchern. Obgleich Keating bereits 1970 entlarvt worden war, erfolgte seine Verhaftung erst 1977 – in eben diesem Jahr wurde er selbst Protagonist eines Buches, als das Journalisten-Ehepaar Geraldine und Frank Norman seine Autobiografie aufzeichnete.

Kunstfälschung und Provenienzfälschung: Das Duo John Drewe und John Myatt

Während die Fälschungen Wolfgang Beltracchis Kataloge infiltrierten, legte der Brite John Drewe zwischen 1985 und 1995 direkt Hand an die entsprechenden Ausstellungskataloge an: Er tauschte dabei nicht nur manipulierte Seiten aus diesen Publikationen aus, sondern druckte zuweilen die in Galerie-Archiven und Bibliotheken verwahrten Exemplare komplett nach und ersetzte dort dann die originalen Kataloge durch seine künstlich gealterten Fälschungen. In beiden Varianten verfuhr er so, um auf diese Weise Katalogeinträge zu Fälschungen, die sein Partner John Myatt kurz zuvor in seinem Auftrag gemalt hatte, in die Archive und Bibliotheken zu schmuggeln. Bot Drewe diese sodann zum Verkauf an, konnte er auf die in den Katalogen vermeintlich gut dokumentierte längere Vorgeschichte der Fälschungen verweisen, die scheinbar Jahrzehnte zuvor bereits in bedeutenden Galerien ausgestellt worden waren. Wie erfolgreich das Verfahren war, kann daran ersehen werden, dass Myatts Fälschungen nie technischen Tests unterzogen wurden, die sie – da Myatt sorglos mit modernen Materialien arbeitete – nicht bestanden hätten. Drewe, der eigentlich mit Nachnamen „Cockett“ hieß, sich aber 1965 umbenannt hatte, verschaffte sich unter anderem Zugang zu Archiven und Bibliotheken, indem er sich von „Dr. John Cockett“ entsprechende Empfehlungsbriefe ausstellen ließ, die auf Papier der Firma „Cybernetic Systems International“ getippt waren, einem von Drewe erfundenen Unternehmen. Mit den Fälschungen verdiente er um die 1,8 Millionen Britische Pfund. Er flog 1995 auf, als er seine Lebenspartnerin Bat-Sheva Goudsmid wegen einer anderen Frau verließ und verräterisches Material im Haus seiner früheren Freundin zurückließ, die es fand und der Polizei übergab. Nach Abbüßung einer Haftstrafe von sechs Jahren zwischen 1999 und 2005 wurde Drewe 2012 erneut, dieses Mal zu acht Jahren Gefängnis, verurteilt, weil er eine 71-jährige pensionierte Musiklehrerein um ihre Lebensersparnisse in Höhe von 700.000 Britischen Pfund betrogen hatte. John Myatt, der 1999 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt worden war, unterstützt seit seiner Entlassung als Sachverständiger die Aufklärung von Fälschungsfällen, hat Ausstellungen seiner Bilder und tritt seit 2010 in einer Reihe von britischen Dokumentarfernsehshows auf, die das direkte Vorbild für die seit 2014 auf 3Sat gezeigte Serie Der Meisterfälscher mit Wolfgang Beltracchi sind.

Karl Waldmann: Ein erfundener Künstler mit einem „echten“ Werk?

Im November 1989 soll ein Journalist in Berlin unmittelbar nach dem Fall der Mauer auf dem so genannten „Polenmarkt“ am Reichpietschufer und am Potsdamer Platz einige Collagen und Fotomontagen entdeckt haben. Sie führten ihn nach Dresden, wo noch Tausende weiterer solcher Werke gelagert waren. Alle waren undatiert, die meisten trugen angeblich nur das Signaturkürzel „KW“, nur einige wenige sollen mit dem vollen Namen, „Karl Waldmann“, signiert gewesen sein. 1990 dann angeblich zum ersten Mal im Kontext der Ausstellung Berlin, Berlin in Straßburg ausgestellt, fanden diese Collagen seither ein wachsendes Interesse seitens ausstellender Galerien und Museen sowie Käufern. Begründet ist diese Nachfrage nicht nur alleine in den mit den Collagen interpretierten Motiven, sondern vor allem in der mysteriösen Figur ihres angeblichen Urhebers. Denn von einem „Karl Waldmann“ lässt sich bislang in Künstlerarchiven keine Spur finden. „Seinen“ Werken nach zu schließen scheint es sich um einen Künstler zu handeln, der sich in den 20er Jahren im Umkreis des Bauhauses und der russischen Avantgarde bewegte, erst gegen die faschistische Diktatur in Deutschland und dann gegen die des Kommunismus in der Sowjetunion agierte. Er erwies sich zudem als ein Gegner des Kolonialismus und – sogar schon in den 30er Jahren – als ein Befürworter des Feminismus und sogar auch schon des Naturschutzes. Diese maßgerecht auf unsere heutigen Ideale zugeschnittenen Charaktereigenschaften stimmen allerdings ebenso argwöhnisch wie die abenteuerliche Entdeckung seiner Werke 1989. Hinzu kommen Widersprüche in deren Schilderung: Mal war derjenige, der dem Journalisten die Collagen zeigte, der Neffe, mal war es ein entfernter Cousin Waldmanns. Hinzu kommt, dass die für die Collagen verwendeten Materialien (Buchdeckel und -seiten, Verpackungen, Zeitungsausschnitte) aus zu verschiedenen Kontexten zusammengestellt zu sein scheinen, als dass sie einem Künstler zum angenommenen Entstehungszeitraum (zwischen 1920 und 1958) hätten zur Verfügung stehen können. Auch eine Begutachtung der Werke selbst nährt schließlich die Zweifel: Zum einen erweisen sich bei einigen von ihnen die Schnittkanten des collagierten Materials als zu wenig vergilbt, zum anderen kommt ein im Februar 2006 von Marcel Fleiss, einem der wichtigsten Galeristen für die klassische Avantgarde, in Auftrag gegebenes naturwissenschaftliches Gutachten zu dem Schluss, dass eine angeblich aus den dreißiger Jahren stammende Collage Spuren von optischen Aufhellern enthält, die es in der damaligen Papierherstellung noch nicht gab und die frühestens zwei Jahrzehnte später in Gebrauch kamen. Das Ganze wird umso verwirrender, als eine 2015 von der Papiertechnischen Stiftung in Heidenau vorgenommene Analyse der chemischen Zusammensetzung der verwendeten Papiere und der Klebstoffe von drei Collagen zu dem Ergebnis kam, dass diese „keine Hinweise auf eine Entstehungszeit […] nach 1958“ ergeben hätten. Im Verbund jedoch mit der bislang nicht möglichen Nachweisbarkeit eines Künstlers mit dem Namen „Karl Waldmann“ sowie in Anbetracht der mystifizierenden Art und Weise, wie die verschiedenen Autoren sich in einer 2010 von Waldmanns Haupthändler Pascal Polar herausgegebenen Publikation äußern, erscheinen Zweifel an der Existenz Karl Waldmanns berechtigt: Eventuell gehört er eher in Koen Brams’ Enzyklopädie fiktiver Künstler als in ein Museum.


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