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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,2.1904

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Heft 20 (2. Juliheft 1904)
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Bonus, ...: Von der Kunst der religiösen Rede
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Münzer, Geog: Uebungen im Musikhören, [4]: die Variation
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https://doi.org/10.11588/diglit.7886#0407

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Die natürliche Rede ist Freskomalerei. Sie setzt starke Farben
nebeneinander, unvermittelt, in große Flächen gesainmelt, auf Fern-
wirkung berechnet. Alles ist anschaulich, plastisch, groß im Stil. Die
künstliche Rede ist vergrößertes Gemälde. Es ist nicht an Ort und
Stclle entstanden, es ist im Atelier geboren, ohne Fernwirkung. Jhre
intimen Reize, die zarten Färbungen, die sie gehabt haben mochte,
sind völlig hinfällig und die künstliche Größe, die sie sich zu vcr-
schaffen suchte, ist Phrase.

So hat denn auch die künstliche Rede eine allerschönste, gller-
langweiligste Raumsymmetrie. Sie hat eine Einleitung, ein Thema,
und wohlgegliederte Teile, die sich gegenseitig Gewicht halten müssen.
Sie kann das, denn die Situation wird an ihr nichts ändern, sie
zerlegt in Rnhe ihre Begriffe, wägt sie ab und schließt glanzvoll.
Die natürliche Rede wälzt ihre einzelnen Blöcke hintereinander her,
und sie ist zu Ende, wenn nichts mehr zu sagen ist. Jhre Nanm-
einteilung ist die immanente, die in der Sache liegt, und die Sache
ist die Wirkung.

Fast die meisten Lehren der Homiletik, Disposition, Textgemäß-
heit, Schriftgemäßheit erledigen sich oder erscheinen in ncucm Licht,
wenn die Grundthese fällt. Das können wir hier nicht mchr erörtern,
und noch weniger die Wirkung, welche eine natürlichere Redemcthode
aus das Vorstellungsmaterial allmählich ausüben würde, mit dem der
Redner arbeitet, und das sich vielleicht von selbst verwandeln würde,
wenn die eigentliche Rede nicht mehr zwischen Text, Kommentar und
Dogmatik ausgeschwitzt, sondern inmittcn lebendiger Menschen entstünde.

Lonus.

Uebungen im ^lusikkörsn.

Die Variation.

. (Fortsetzung.)

Die Möglichkcitcn, wclche die Variation darbietet, sind unendlich groß.
Wir wollen nur noch eine betrachten und überschlagen darum hundcrt Jahre
Musikgeschichtc. Von Mozart zu Wagner!

Die Wahl des Werkcs wird in diesem Zusammenhang überraschcn.
Und doch — Wagners Lohengrin-Vorspiel ist nur eine Art Nariation.

Sehen wir uns dieses berühmte Stück einmal an. Es beginnt mit
einer kleinen Einleitung von ätherischen H.-ckur-Akkordcn, die in der Höhe
flimmern. Die Melodie beginnt erst mit dem fünften Takte. Sie klingt
uns im Verhältnis etwa zu den einfacheren, melodischcn Gebilden, die wir
bisher betrachtct haben, verwickelter. Sie erscheint nach anderen Gesetzen
konstruiert, doch das ist ein Jrrtum. Die Melodie ist uur — besouders rhyth-
misch — rcicher. Wir haben eine ganz regelmäßige Bildnng vor uns: Border-

2. Iulihcft 1904
 
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