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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 27.1910-1911

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Michel, Wilhelm: Puppen von Lotte Pritzel
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Westheim, Paul: Edles Material
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https://doi.org/10.11588/diglit.7379#0353

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Puppen von Lotte Pritzel.

dichterischen Wesens und der Delikatesse seiner
feinen, treuen und kränklichen Hand ausdeute.
„Ach sie haben eine Seele aus weißer Watte,
die Holden!" würde er vielleicht schreiben,
„sie sind die reinsten weiblichen Wesen, von
denen mir je zu träumen erlaubt wurde. Ihre
Händchen sind nur fürs Blumenpflücken ge-
macht, und barfuß gehen sie, damit die Linien
ihrer feinen Fesseln singen und die Menschen
erfreuen können. Von solchen Händen, kühl,
zart und vibrierend, haben wir als Knaben
geträumt, um dann zu erfahren, daß es sie im
Leben nicht gibt, und Du, Lizzie B., solltest
Dir sagen lassen, daß Dein süßes Gesichtchen
niemals, niemals soviel Geist, Klugheit, Anmut
und Scheue zeigte wie die Füße dieses braunen
Wachsmädchens, dessen Brüste die rosigen
Spitzen zeigen."

Ich selbst hätte zu bemeldeten Gliedmaßen
zu bemerken, daß sie delikat und famos gemacht
sind, alle von gleichmäßigem Ausdruck, alle
von derselben nervösen, altadeligen Art. Mon-
däne, wohlerzogene und kühne Mädchen blicken
diese Geschöpfchen alle etwas hochfahrend und
unsagbar scheu von oben herab, haben alle den
großen Mund, den die Erinnerungen verbotener
Küsse schmücken, und dieselben verträumten
Mongolenaugen, aus denen die Dichter fremd-
ländische Entzückungen schimmern sehen. Nur
das stumpfe Naschen legitimiert sie als Euro-
päerinnen, als Nachkommen der liebenswürdigen
Damen von Watteaus und Bouchers Gnaden,
die die zahmen Lämmer und die ebenso zahmen
Schäfer auf köstliche imaginäre Weiden führten.

Was soll ich noch mehr von ihnen erzählen ?
Daß man sie stellen, legen und setzen kann, wie
es gefällt? Daß Lotte Pritzel die erste war, die
in größerem Umfange mit Wachs, Seide, Spitzen
und Perrücken zu dichten begann? Das möge
denn noch hier verzeichnet sein. — w. m.
Ä

EDLES MATERIAL lechzt nach der kun-
digen Hand, die seine heimlichsten Reize
entfalte, seine Tugenden zum Erstrahlen bringe.
In den nobelen Hölzern, Metallen, Glasflüssen,
dem Leder oder dem Stein schlummern Schön-
heitswerte, die man erahnt, selbst wenn der
nachlässige Bearbeiter keine Mühe aufgewandt
hat, sie den Sinnen offenbar zu machen.

Doch ist es nicht Verbrechen an der von der
Natur reich bedachten Materie, wenn ihre inner-
liche Schöne brach liegen bleibt wie ein unge-
pflügter Acker? Von dieser Schuld können wir
uns nicht ganz frei sprechen. Wohl haben wir
es dahin gebracht, daß mit Freude und Eifer
kostbares Holz, Gold, Silber, Marmor, strah-
lendes Leder und reine Stoffe verwendet wer-
den. Aber wer wollte leugnen, daß diese Dinge
zumeist primitiv und unveredelt bleiben. Und
wer möchte bestreiten, daß dieser Verzicht auf
eine liebevolle Durchgestaltung beinahe als
Materialvergeudung erscheint. Man betrachte
doch eine alte Gemme, eine Schnitzerei aus
früherer Zeit oder eine japanische Bronze. Durch
Fleiß und Können ist da der Urstoff aufgehöht
zu unerhörter Kostbarkeit. Das Gesetz der Na-
tur ist erfüllt, und der Mensch betrachtet ent-
zückt das so entstandene Werk. p. westheim.

lotte pritzel—München. Puppen für die Vitrine.
 
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