Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 18.1906-1907

DOI Artikel:
Kunstgewerbliche Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4869#0049

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

DAS NEUE SCHWEIZER MUSEUMTN ST. MORITZ

Seitdem die Hochtäler des Engadin durch die Eisenbahn,
den Bau von Riesenhotels usw. dem jährlich großer werden-
den Fremden- und Weltverkehr erschlossen worden sind, ist
alles Volkstümliche in Tracht und Häuserbau, in Gebrauchen
und Sitten der sonst so abgeschiedenen Bergbewohner
auf Kosten der alles nivellierenden Kultur dem Untergange
geweiht. In vormals nur schwer erreichbaren Dorfern
reihen sich Hotel an Hotel, meist in jenem kastenartigen
Stil, derbeifünf-undsechsstöckigenNutzbauten unvermeidlich
ist. Alte, echte Schweizerhäuser in bodenständiger Bauart
findet man nur selten und sie werden immer weniger. Unter
diesen Umständen ist es ein nicht zu gering zu schätzen-
des Verdienst, alles das vor Augen zu führen, was in
früheren Zeiten an häuslicher Kunstpflege in einzelnen
Teilen der Schweiz geleistet worden ist, wie es bei dem
vor einigen Wochen eröffneten Museum Engadinais der Fall
ist. Der Gründer und Erbauer des Museums, Richard
Campell in Celerina, hat bündnerische und speziell En-
gadmer Möbel und Hausgeräte seit einer Reihe von Jahren
gesammelt. Der Wunsch, diese ansehnliche Sammlung in
passenden Räumen aufzustellen und die Gelegenheit, einige
alte Zimmer zu erwerben, führte ihn auf die Idee, ein
eigenes Haus ganz in alter Engadinerart zu erstellen, das
als kulturhistorisches Museum des ganzen Kreises dem
Publikum zugänglich gemacht werden könnte.

An der Straße zwischen Dorf und Bad St. Moritz
günstig gelegen erhebt sich der Bau, dessen Äußeres mit
seinem hohen Giebel und der sonst glatten Fassade, mit
den scheinbar regellos verteilten, tief in die Mauer einge-
schnittenen, mitunter reichvergitterten Fenstern und dem
kleinen Spitzerker den Typus des Engadiner Bauernhauses
wiedergibt. Ganz spezifisch sind auch die dem rhäto-
romanischen Hause eigenen Sgraffitodekorationen, die so-
wohl Tür- als auch Fensteröffnungen in ausgesprochen
flächiger Technik einfassen und selbst bei den als Quader-
pfeiler ausgebildeten Hausecken keine plastische Wirkung
zulassen. Hier hat offenbar italienische Tradition den Weg
von Oberitalien durch das Veltlin und Bergell in die
schweizer Täler gefunden und zu besonderer Eigenart aus-
gebildet. Daß diese Technik selbst dem schweren Enga-
diner Winter Trotz bietet, zeigen die über 200 Jahre alten
Sgraffiti in Bergün, Filisur und anderen, die dem Erbauer
des Museums als Vorbilder gedient haben.

Das Innere enthält außer dem weiten, gewölbten stei-
nernen Flur, sog. Suler, unter achtzehn Räumen zehn voll-
ständige Stuben und Zimmer mit dem alten Getäfel, ge-
schnitzten Plafonds und allen zugehörigem Hausrat, den
Türen, Fenstern und den Öfen, wie sie ursprünglich zu-
sammengehörten. Einige dieser Stuben stammen aus dem
Ober-Engadin vom Ende des 16. Jahrhunderts und aus
der Folgezeit, so das Prunkzimmer, sog. »stüva sur«, das
ist »obere Stube«, aus einem Bauernhause in suoz, Mitte
oder Ende des 17. Jahrhunderts, ein besonders reiches
Zimmer aus dem Hause der Landadelsfamilie ä Marca in
Mesoccio (datiert 1621) mit ganz eigenartiger Ornamentik,
und ein Rats- oder Amtssaal aus dem Hause der Visconti-
Venosta im Veltlin vom Anfang des 17. Jahrhunderts. Der
spätgotische Saal, ein Schlaf- und Wohnzimmer gleichen
Ursprungs lassen den Zusammenhang mit tirolischer

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVIII. H. 2.

Schnitztechnik deutlich erkennen. Die die obigen Räume
verbindenden Korridore und Zwischengemächer sind teils
vorhandenen, teils inzwischen abgerissenen Gebäuden des
Engadin nachgebildet resp. entnommen und enthalten eine
Menge alter Truhen, eingelegter Kästen, bemaltes Schnitz-
werk aller Art, nebst Stickereien und Trachten, dann Ar-
beiten in Metall, Waffen und anderes für den bäuerlichen
oder bürgerlichen Gebrauch.

So bietet das Museum einen vollständigen Überblick
über den Stand des Engadiner Kunstgewerbes früherer
Zeit. Der Wert der Sammlung wird noch erhöht durch
eine Bibliothek alter Drucke und vieler Manuskripte in
romanischer oder ladinischer Sprache, deren Erhaltung und
Pflege den Bewohnern dieses Landesteiles sehr am Herzen
zu liegen scheint. E. b.

DIE MÜNCHENER AUSSTELLUNG FÜR
WOHNUNGSKUNST

Die »Vereinigten Werkstätten« haben in der Theatiner-
straße, im ersten Stock eines alten Privathauses, eine Aus-
stellung veranstaltet, deren Thema eine »Wohnung in mitt-
lerer Preislage« sein sollte. Die Ausstellung hält mehr als sie
verspricht. In Wirklichkeit sind zwei komplette Wohnungen
vorhanden, die erste selbst sehr verwöhnten Ansprüchen
Genüge leistend, die zweite bescheidener, aber immer noch
mit recht begüterten Abnehmern rechnend. Daneben ist
noch eine Junggesellenwohnung von zwei Zimmern vor-
handen, und außerdem eine sehenswerte Paradeleistung,
nämlich ein Raum, der zugleich als Wohn-, Arbeits- und
Eßzimmer zu dienen bestimmt ist und sich somit an die
weitesten Kreise als Abnehmer wendet. Sämtliche Räume
haben Bruno Paul zum Schöpfer und bieten so eine Art
gedrängter Revue über das, was dieser ebenso befähigte
als tätige Künstler an gangbaren Formen bisher erarbeitet
hat. Keine neuen, überraschenden Lösungen der ewig
wiederkehrenden Aufgaben wollte er uns bieten, sondern
nur solche Formen, deren künstlerischer und technischer
Wert bereits erprobt ist und die ihre Anziehungskraft
gegenüber dem Publikum schon bewährt haben. Die Aus-
stellung bedeutet also weniger eine neue Offenbarung des
schöpferischen Ingeniums, als vielmehr eine wichtige Etappe
in dem Prozeß der Versöhnung zwischen dem neuen Kunst-
gewerbe und dem Volke. Und dieses Bemühen war nicht
umsonst. Die außergewöhnlich hohe Anzahl der Verkäufe
(einzelne Räume sind bis jetzt 7—8 mal abgesetzt worden)
beweist, daß das Publikum die anfängliche Scheu vor dem
Neuen langsam, aber stetig abzulegen beginnt. Das könnte
zunächst nur als ein rein geschäftliches Faktum erscheinen,
aber näher betrachtet ist es auch eine kulturelle Erschei-
nung von hoher Bedeutsamkeit. Weshalb, braucht hier
nicht weiter ausgeführt zu werden. Freilich war Bruno
Paul auch wie kein anderer geeignet, diese endgültige
Versöhnung anzubahnen. Seinen Raumgebilden wohnt
eine so überzeugende Kraft inne, daß niemand sich ihr
entziehen kann. Die untadelhafte Solidität, der hohe Ge-
schmack, die fabelhafte Eleganz seiner Schöpfungen besiegt
jeden Widerstand, zumal auch die vortreffliche Arbeit der
»Vereinigten Werkstätten« das übrige tut, um dem Künst-
lergedanken zu einer völlig einwandfreien Ausführung zu
verhelfen, w. MICHEL.
 
Annotationen