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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 4
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Furtwängler, Adolf: Aphrodite Diadumene und Anadyomene
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Aphrodite Diadumene und Anadyomene.

In den privaten Häusern der hellenistischen und
der folgenden römischen Epoche war es sehr üblich,
Marmorstatuetten aufzustellen, und zwar sowohl solche,
die nur der Dekoration dienten, wie solche, die zur
religiösen Verehrung bestimmt waren. Es sind uns
noch ziemlich viele Statuetten dieser Art erhalten. Keine
Gottheit ward aber häufiger in solcher Weise in Statuetten-
form dargestellt als die Göttin der Liebe, Aphrodite.
Zwei vorzügliche Exemplare, die auch heute wieder
wie im Altertum in kunstsinnigen privaten Häusern
Aufstellung gefunden haben, können wir hier zum ersten
Male durch Abbildungen bekannt machen.
Das eine (Taf. i), im Besitze Sr. Excellenz des k.
russischen Botschafters in Rom, Herrn A. von Neli-
dow, dem ich für die gütige Ueberlassung der Photo-
graphieen und die Erlaubnis zu ihrer Publikation zu Dank
verpflichtet bin, ward gefunden bei Panderma in der
Nähe von Kyzikos und besteht aus parischem Marmor.
Die Statuette ist vollkommen intakt erhalten; es ist gar
nichts an ihr ergänzt. Die mit der Figur zusammen
gearbeitete Plinthe ist eingelassen in eine runde Basis
von Marmor, die ebenfalls antik ist. Als Stütze ist
ein Stück Marmor neben dem rechten, dem Standbeine
stehen gelassen, darauf in Relief ganz flüchtig eine
schlanke, henkellose Vase und darüber etwas Gewand
angedeutet ist. Die Göttin ist ganz unbekleidet gebildet
und wohl eben dem Bade entstiegen gedacht. Sie ist
im Begriffe das Haar mit einer bunten Binde zu
schmücken, die sie um den Kopf geschlungen hat und
deren Enden sie mit beiden Händen hält. Im Haare
selbst erscheint die Binde nicht sehr breit, doch die
freistehenden Teile zwischen Kopf und Händen sind
breiter aus technischem Grunde, um das Abbrechen zu
vermeiden; denn sie sind aus einem Stücke mit der
ganzen Figur gearbeitet. Das Haar ist hinten in einen
Knoten geschlungen; vorne ist es unterhalb der Binde
nach den Seiten zurückgestrichen; doch in der Mitte
über der Binde ist es etwas emporgekämmt, wodurch
eine wirkungsvolle Überhöhung der Stirne entsteht.
Das gleiche, nur wesentlich stärker, sieht man an einem
prachtvollen, aus Kleinasien stammenden Dionysos-Kopfe
im Museum zu Leyden, der pergamenischen Stil zeigt;
auch da ist das Haar über der breiten Stirnbinde in
der Mitte emporgestrichen. Sonst wird man der gleichen
Tracht nicht leicht wieder begegnen.
Aphrodite ist also hier als Diadumene dargestellt,
ganz ähnlich wie die Diadumenoi, die schönen Jünglinge,
die sich die Siegerbinde umlegen. In der That ent-
spricht das Motiv unserer Statuette vollkommen dem
des berühmten Diadumenos des Polyklet, von dem wir

gute Kopieen besitzen. Die Aphrodite ist ohne Zweifel
in Anlehnung an jene Schöpfung entstanden, die bei
einem Verkaufe einmal, wie Plinius berichtet, von einem
Liebhaber — vielleicht einem der pergamenischen Könige
— mit der Summe von 100 Talenten, d. h. fast einer
halben Million Mark bezahlt worden war. Wie jener
Diadumenos ruht die Aphrodite hier auf dem rechten
Fusse und setzt den linken zurück, nur nicht so weit
wie jener Jüngling; auch sind die Schenkel nach weib-
licher Art eng aneinander geschmiegt. Ganz wie dort
wendet sich der Kopf leicht nach der Seite des Stand-
beins, und wie dort ist der linke Oberarm horizontal
gehoben, während der rechte mehr gesenkt ist. Selbst
die ruhigen grossen Züge des Kopfes haben etwas von
älterer Art. Die Ausführung im Marmor ist frisch,
lebendig und weich.
Eine verwandte Marmorstatuette hellenistischer Zeit,
aus Syrien stammend, befindet sich in einer leider
wenig zugänglichen Privatsammlung zu Paris.*) Sie ist
vorzüglich erhalten. Als Stütze neben dem rechten
Beine dient auch hier die schlanke henkellose Vase mit
Gewand darüber. Die Figur schliesst sich ebenfalls
direkt an den Diadumenos des Polyklet an, versucht
dies aber nicht nur durch das Motiv, sondern auch
durch die breiten grossen Formen des Körpers, insbe-
sondere die breite Brust zu thun; auch die Stellung
der Beine ist der jenes Jünglings näher. Besonders
interessant ist an ihr aber, dass auch der Kopf einem
Vorbild des klassischen fünften Jahrhunderts folgt und
einen grossartigen vermutlich phidiasischcn Aphrodite-
typus kopiert, der uns in zahlreichen grossen Kopieen
bekannt ist und gewöhnlich unter dem Namen Sappho
geht. Das Ganze ist ein Bild wunderbarer reinster
Schönheit.
So sind diese Statuetten für uns merkwürdige
Zeugnisse des Einflusses, den die Werke der grossen
klassischen Epoche schon auf die hellenistische Kunst
ausübten.
In engem Zusammenhänge mit diesen beiden an
den Diadumenos anknüpfenden Schöpfungen der helle-
nistischen Kunst im Osten steht nun aber eine merk-
würdige in Rom gefundene Statue, die sogenante Esqui-
linische Venus im Konservatorenpalast zu Rom (Tafel 3).
Durch ihren Zusammenhang mit jenen Statuetten, der
unleugbar ist, fällt ein interessantes Licht auf sie. Man
hat sie in neuerer Zeit zumeist als Kopie eines alt-
griechischen Werkes aus der Epoche und Stilrichtung
etwa eines Kalamis betrachtet; denn dahin wies nament-

*) Vgl. meine Meisterwerke d. griech. Plastik S. 100.
 
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