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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 196/197 (Erstes Februarheft)
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Fort, Paul: Dichtungen
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Kohl, Aage von: Der Weg durch die Nacht, [3]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0174

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Pochende Schläge aim Klopfer

- Dort von der Wetterseite, ja dort vor der
Tür. Geh, Vater Markus. Sieh durchs Schlüssel-
loch. Du siehst vielleicht einen kleinen Schnee-
mann.

- Heh?

-. Das sind die einfältigen Kinder, die mich so
zugerichtet haben mit Schnee.

- Kleiner Schneemann . . .?

- Ja, ich sehe aus wie ein kleiner hübscher
Toter, nicht wahr? Aber ich werde wachsen.

- Wachsen?

- Ich bin schon viel größer . . .. ha, ha, als
deine Kinder ., . ..

-. Was, meine Kinder?

- Hi, hi, du hast nichts gesehn. Jawohl, deine
-Kinder . . . sieh, ich war groß wie eine Laus.
Aber der Schnee, der Schnee . . . ich bin jetzt
so groß wie dein kleinstes Kind.

- Na, du siehst nicht aus, als ob du lebtest.
Warum stößt du an die Tür? Wie sprichts du?

- Ich lebe mehr wie du, ich bin sehr jung.

- Pah, warum stehst du da, häßlicher, kleiner
Wicht?

- Sieh, ich will nicht mehr wachsen, ich will,
daß du mich schön findest und mich aufnimmst.

- Schön, nein.

- Du willst darum nicht begreifen, daß es ein-
fältige Kinder waren, die mich gemacht haben?

- Meine Kinder?

- Und dann andre und wieder andre, richtige
kleine Engel. - Setz mich in deinen Keller, damit
ich nicht sterbe . . . Sieh, immer Schnee und
Schnee über meinen Schneeleib. Ich werde zu
groß, siehst du, ich leide, setz mich in deinen Kel-
ler, Väterchen.

- Nein, gerade habe ich schon einen Armen
fortgeschickt.

- Nun ja, ein Armer . . .

- 0, ein Armer, er hatte Bücher, Weihnachts-
bücher.

- Ich bin schön.

- Er wußte, wie man Wölfe verjagt. Du, was
weißt du?

- Nichts. Aber ich bin so schön! 0, wie ich
leide, so groß zu werden. Oeffne! 0, immer
Schnee und Schnee über meinen Schnee, und das
hält an. Du wirst mich liebhaben . . . sieh schnell!
Ich bin fast schon so groß wie du. Ich leide sehr,
komm, Väterchen. Oeffne, wenn ich noch größer
werde, kannst du mich nicht mehr lieben, du
wirst nichts mehr sehn wie meine Beine. Väter-
chen Markus, öffne mir, noch bin ich schön. Setz
mich in deinen Keller.

- Nein, nein, du wirst alles bei uns be-
schmutzen.

- In den Keller.

- Nein, für Wasser ist der Keller nicht da.

- Ich bin nicht von Wasser, ich leide, Vater
Markus.

- Nicht für Schnee.

- Ich bin fast gar nicht mehr von Schnee, ich
leide, Vater Markus.

- Nicht für Eis.

- Ich bin etwas, das wächst. Oeffne mir, sonst
könnte ich nicht mehr durch die Tür hinein.

- Nein!

- 0, ich fühle mich so schwach, Väterchen.
Je mehr ich wachse, desto schwächer werde
ich . . . Oeffne mir.

- Und könntest du so schwach werden, daß du
zerbrichst unter dem Schnee wie ein Zweig . . .

- Ja, Väterchen, aber ich wäre gezwungen,
mich an etwas anzulehnen, an irgend etwas, an
dein Haus . . «

- Out, es ist stark genug, um einen kleinen
Schneemann wie dich zu halten. Oute Nacht.

- Bleib, Väterchen! Sieh noch durchs Schlüs-
selloch.

- Gute Nacht.

- Sieh, ich bin sehr groß.

- Heh, ich seh dich nicht einmal über dieser
Mauer von Eis, so dünn bist du.

- Das ist keine Mauer von Eis, was du siehst,
das ist mein Panzer. Und nicht wahr, immer fällt
Schnee. O, ich bin zu schwäch, ich bin zu groß,
endlich muß ich mich an dein Haus lehnen.

- Nur zu, gute Nacht. Hola, wovon erzittert
mein Dach?

- Aber das ist mein kleiner Finger, Väterchen,
den ich auf deinen Schornstein stütze.

- Hola, wovon erzittern meine Mauern?

- Das ist mein Knie, ich bin so schwach, ich
stütze mich.

- Hola, wer läßt das Strohdach krachen?

- Das ist mein Knie, ich lehne mich an. Wie
schwach bin ich!

- Dein Knie? Jetzt gerade?

- O, ich bin gewachsen, ich wachse immerzu.

- Mein Schornstein. Hola, heh, aber du zer-
störst ja alles.

- Ich stütze mich. Hör! o, es ist zu Ende. Ich
bin zu schwach.

- Halt an, halt an, ich öffne dir.

- O, Väterchen, ein Riese in den Schlund eines
Rebhuhns? Zu spät, zu spät.

- Mein Weib, meine Söhne, laßt uns hinaus-
gehn, laßt mich . . .

-- Mein Fuß ist zu schwer, Väterchen. Es ist
zu spät, viel zu spät. Mein Fuß ist da vor der
Tür, wie eine Mauer. Mein Fuß ist höher wie die
Tür und breiter wie deine Hütte. Warum stößt
du das Schloß gegen meinen Fuß? Mein Fuß ist
jetzt größer wie das Gebirge. O, Väterchen, ich
wachse, ich wachse immerzu ... Ich bin so
schön . . . und werde sterben. 0, ich bin so
schön, daß du mich nie verstehen könntest.

- Ha, ha, alles stürzt zusammen über euch,
über mir . . .

- Ja, das ist mein Herz, Väterchen, mein Rie-
senherz, das über einem Dache schmilzt. Ich bin
groß und schwach wie die Welt. Ich bin höher
wie die Nacht, und jetzt berührt mich die Sonne
ganz und gar. Aus meinem Herzen rollen Bäche,
mein Herz schmilzt. O, dein armes dahingetra-
genes Haus ... ich sterbe ... leb wohl, Väter-
chen . . .

- Davongetragen! Der Gießbach! Mein Hab
und Gut! Frau, Kinder, schnell, aufs Dach. Wo-
hin fahren wir?

- Dahin, dahin . . .

- Mein Geld. - Und Yolin, mein Kind, mein
kleines Kind! Ha, dort unten, im rauschenden
Gießbach auf dem beschneiten Balken. Yolin,
mein Kind, sieh mich doch! Der Strom nimmt
alles mit, all . . . mein Geld. Der Abgrund dort.
Klein Yolin! Es sieht nicht. Frau, schrei doch!!
Der Abgrund, wir fallen hinab. Nein, es geht vor-
bei. Aber Yolin, auf dem Balken zum Abgrund
hin. Yolin, siehst du mich? Ich bin es, ich, dein
Väterchen Markus . . . Yolin, was tust du? Sieh
doch her! Mein Gott, er spielt noch? er spielt mit
Schnee ... er macht einen kleinen Schneemann.

- Papa, einen schönen kleinen Schneemann.

- In den Abgrund! - Das kleine Kind . . .

Der Morgen. Weiße Sonne über der Ebene
und in der Hütte

- Nun, Markus?

- Frau, dieser Traum . . . Der Herr verzeihe
mir, ich glaube, daß einer der sehr gut ist, uns
gestern Liebe bringen wollte . . . Frau!

- Markus!

- 0, ich habe es nicht gewollt.

Schläge am Klopfer

- Wer klopft denn noch?

- Das sind die Kinder draußen im Schnee.

- Schon die Kinder?

- Es ist ja Weihnachten. Hör sie doch!

- Papa, sieh doch unsern hübschen Schnee-
mann, wie er groß geworden ist. Er ist groß
wie du.

- Frau, endlich war uns jemand gesandt wor-
den, und ich glaube . . . ich habe gelacht.

- . . . Und der kleine Jesus hat ihm schöne
Augen gemacht, ganz blau.

Deutsch von Curt Stoermer ! Berechtigte Ueber-
tragung aus: Ballades francaises / Paris I Mercure

de France

Der Weg
durch die Nacht

Roman

Aage von Kohl

Fortsetzung

II

¥

Noch eine Minute oder auch zwei wanderte
Glaß Morton schnell durch die schmalen Gänge
dahin, die zwischen niedrigen, schwarzen Gittern
oder winzig kleinen, grünen Buchsbaumhecken —
einander in rechten Winkeln kreuzend, über den
mächtigen Kirchhof dahinführten.

Hier und da ragten zu allen Seiten Marmor-
monumente auf, schneeweiß über dunklen Tujas
oder schwarzgrünen Efeu. Zwischen Trauerwei-
den und Gebüschen gewahrte man ein beständiges
Gewirr nahe und fern von gebrochenen Säulen»
von Kreuzen, von Tauben, von ruhenden Hunden
in Relief oder von grauen, plumpen Händen, die
ineinander griffen; die goldenen Inschriften leuch-
teten gedämpft auf den blanken, spiegelnden Flä-
chen aus poliertem Granit —: hier ruhet! —
Und überall Blumen, in Dolden, in Büscheln,
weiße, rote, gelbe, die ihre durstigen Kelche dem
fallenden Tau erschlossen, noch stärker als vorher
ihren erstickenden und gewaltsamen Wohlgeruch
ausatmeten — als ginge man unter einem unauf-
hörlichen und ohrenbetäubenden Konzert von
schwindelnden Violinen dahin! als gaukelten alle
Sinne unter hektischen Eindrücken, viel zu über-
wältigend, um darin Platz zu finden — Du großer
Gott, Annie, nirgends treffe ich dich wieder!

Er war auf einmal stehen geblieben.

Er legte den Kopf auf die Seite, angespannt
lauschend — in die Dunkelheit hinausspähend.

Aus allen Richtungen vernahm er tausendzün-
gige Laute: Insekten und Vögel, die sich der an-
brechenden Nacht entgegenbewegten, das Sausen
von zahllosen, winzig kleinen Flügeln, die die Luft
zerspalteten, das kleine, wimmelnde Geräusch von
federleichten Schritten, von Grashalmen, die sich,
neigten, die herabgedrückt wurden und wieder in
die Höhe schnellten, von Staubkörnern, die hin
und her rollten. Und weit hinter alle diesem,
meilenfern da draußen zur Rechten — nicht wahr,.