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Kunstwart und Kulturwart — 36,2.1923

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1923)
DOI Artikel:
Hauptmann, Gerhart: Aus Gerhart Hauptmanns Aufzeichnungen
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Schumann, Wolfgang: Gemeinschaft, Geltung, Macht, Erwerb und Besitz: (Siebenter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins) , [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14438#0178

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Ich möchte den psychiatrischen Herren vorschlagen, einmal statt des er«
krankten Menschen den gesunden in das Bereich ihrer Untersuchungen ein-
zubeziehen und statt irgendeiner besonderen Krankheitsform das rein ent-
wickelte Phänomen der Liebe zu studieren. Es ist ein Prozeß der (Lrneue-
rung; ich glaube fast in mich hineinzusehen, wie srch die Moleküle, zu hurti-
gem Leben aufgestört, ununterbrochen umordnen, zu einer anderen, höher
gearteten Daseinsform. Ich bin überzeugt, daß ich mit dieser Behauptung
bei den meisten Menschen ein Lächeln hervorrufe. Es muß so sein; denn
wie sollte ich etwa das Göttliche sichtbar machen, was mich durchdringt,
obgleich es sein Gefäß bis zum Rande füllt.

Gemeinschaft. Geltung. Macht. Erwerb und Besitz

(Siebenter Teil der Betrachtungen über die Antriebe des menschlichen Daseins.)

Es mag fraglich scheinen, ob Machttrieb jeglichem Einzelnen innewohnt.
Ie und je wandeln schlichte Gestalten durch unsern Lebenskreis, die allen-
falls bescheidenen Geltungdrang, doch schlechterdings nicht den „Willen
zur Macht" zu verraten scheinen. Indes ist dieser doch weiter verbreitet,
als oberflächliche Prüfung ergeben mag. Unter Macht ist ja nicht nur zu
verstehen jene weittragende tzerrscherlichkeit, deren sich ein Lenin, Stinnes
oder die Oberbürgermeister von tzannover und Darmstadt erfreuen. Be-
scheidener Machttrieb, der immerhin Millionen eingeboren ist, begnügt
sich mit der Möglichkeit, als kleiner Bürokrat in staatlichem Dienst seine Mit-
menschen anschnauzen und schikanieren zu können; mit der Leitung einer
Fußballspiel-Partei; mit dem Vorsitz im Gemeinderat von Filehne; mit
dem Einfluß des Lokalredakteurs des Allgemeinen Anzeigers von Tripstrill
und Amgegend, welcher darüber entscheidet, ob der Tod des Spediteurs
Meier und das dreißigjährige Dienstjubiläum des Bürochefs Müller der
Mitwelt angezeigt wird oder nicht; mit der stillschweigend anerkannten
Führerschaft auf Spaziergängen der Familie; mit der Rolle des mnitrs äo
plai8ir auf den Bällen des Vereins tzarmonie; ja, mit der — oft nur schein-
baren — Oberherrschaft über den angetrauten Ehegatten. Mit letzterem
berühren wir das „Zweier-Verhältnis". Schon dieses bedeutet sür einiger-
maßen entwickelten Machttrieb Anlaß und Gelegenheit. Schon hier offen-
bart sich die psychologische Tiefe dieses echten Triebes und seine biologisch-
soziologische Anentbehrlichkeit. Machttrieb zielt ab auf eine völlig eigen-
artige und besondere Lust, eben die Macht-Lust. In sehr reiner, allerdings
auch sehr verdünnter Art genießt sie schon, wer spazierengehend mit dem
Stock Disteln köpft, wer tzaustiere kommandiert oder im Meeressande das
Wasser nach eigenem Willen durch selbst gegrabene Gräben lenkt. Orga-
nisches und Anorganisches erscheint da dem lenkenden Willen unterworfen.
Puppe, Geschwister, Dienstboten locken den Machtwillen Aufwachsender.
Wer beobachtet, findet ihn früh mit Furcht und Begehren verknüpft. In
furchtsamer Stimmung hilft er das Selbstbewußtsein steigern, ein herrische-
res Gefühl gegenüber der Welt erlangen; erlangte Macht verbürgt an-
sonsten unerreichbare Vorteile, Genüsse und Besitztümer. Ich erinnere
mich einer Szene aus der Zeit, als ich etwa zwölf Iahre zählte; mit dem
Dienstmädchen saß ich allein zur Nacht im leeren tzause, Geräusche auf
dem Boden versetzten uns in plötzliche Angst, — und noch ist mir das rasche
Ansteigen meines Mutes gegenwärtig, als das Dienstmädchen sich in
diesem Augenblick, vielleicht zum ersten Male, meinen Anweisungen fügte.
 
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