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Kunstwart und Kulturwart — 35,2.1922

DOI Heft:
Heft 11 (Augustheft 1922)
DOI Artikel:
Fischer, Aloys: Die deutsche Gewerbeschau zu München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14435#0321

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Die Deutsche Gewerbeschau zu München

i

^««H'ähigkeit und Beruf eiuer Zeit zur Kunst hängeu iu der Wurzel zu--
^7^sammen, in der organischen Lebenseinheit substanzieller Wahrheiten
und Geistformen. Kunst wird, aber sie wird nicht gemacht,
weder vom Willen der einzelnen Begabungen noch vom Bedürfnis der
Massen, weder nach bewährten Mustern noch nach Kunsttheoremen. Wo
immer wir klassische Kunst antreffen, ist sie gewachsen mit der Landschaft
und dem Weltgefühl eines Kulturvolkes, eine notwendige Lebensform
derselben Seele, die aus Rassen und Stämmen gleichen oder verschiedenen
Blutes, Gruppen gleicher oder verschiedener Sprache erst die Einheit
eines Kulturvolkes schuf. Das schaffende Leben hat Ziele, aber keine
Absichten, die zeugenden Kräfte sind auf ein Ende, ihre Vollendung ge--
richtet, aber sie arbeiten nicht mit reflexiver Bewußtheit auf ein gedank-
lich vorweggenommenes Ergebnis hin. Schöpfung, vor allem Kunst-
schöpfung, ist ein Lebensprozeß, nicht eine Zweckhandlung. Wenn in
unserer Kunstgeschichtsschreibung seit Aloys Riegl vom Kunstwollen
gesprochen wird, wenn wir z. B. die Sonderart einer hohen Kunst in
ihren Abweichungen von anderen Stilen, naiverweise zunächst von der
in unseren Tagen gültigen Kunstweise uns durch ein anderes Kunst-
wollen verständlich zu macheu suchen, weil wir zu der Annahme eines
geringeren Kunstv erm ög ens keinenGrund haben, so müssen wir uns be-
wußt bleiben, daß dieses Kunstwollen nicht mit dem Willen zur
Kunst verwechselt werden darf, der in der Geschichte immer aufblüht,
wenn die Kunst selbst im Sterben liegt. Dieser bewußte Wille zur Kunst
ist das untrügliche Symptom der objektiven Kunstunfähigkeit, geboren
aus der bewundernden Sehnsucht nach einer als.solchen nicht mehr leben-
digen Kunstübung organischer Kulturen, begründet auf ein begriffliches
Wissen um die Kunst und ihre Bedeutung, das aus den die schöpferischen
Kräfte überdauernden Werten einer klassischen Kunst abgezogen ist. Die
Produktion, die aus solchem Willen zur Kunst hervorgeht, hat den Cha-
rakter des Unnotwendigen, des Gemachten, auch wenn ihr ästhetische
Werte in hohem Maße innewohnen. Das organische Kunstwollen dagegen
blickt nicht auf Vorbilder, hat nicht sich selbst zum Zweck, sondern läßt
seine Kräfte spielen im Dienst von wesentlichen — auch vor- und außer-
künstlerischen — Lebenszwecken einer Gemeinschaft, ihr Werk als objek-
tives, den Schaffensvorgang überdauerndes, gegen seinen Urheber verselb-
ständigtes Gebilde ist nicht bewußtes Ziel, sondern tatsächlicher Erfolg der
künstlerischen Instinkte und Kräfte. Es ist mit der Kunst wie mit dem
Glück; man erreicht beide um so gewisser, je weniger man sie ausdrücklich
will. Denn Glück als Gefühl des befriedeten und befriedigten Daseins ist
die ungesuchte Folge beliebiger von großen Inhalten und Zwecken
getragener, den ganzen Menschen erfassender Tätigkeiten, ist das
Leben selbst in seiner hemmungslosen Entfaltung, nicht ein Einzelinhalt
neben oder über dem Leben. Wer glücklich werden will, wer nach dem
Glück sucht, ausdrücklich oder hinterbewußt, geleitet von irgendeinem Begriff
des Glücks, nach einer Definition, beweist damit, daß er nicht mehr glücklich
ist, ja vielleicht nicht einmal mehr glückfähig. So ist es auch mit der
Kunst: ein überindividuelles Seelisches, eine Form des Geistes, die höher
steht als die höchsten ihr gemäßen Einzelbegabungen, die substanzielle,
 
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