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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 13 (1. Aprilheft 1914)
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Bonus, Arthur: Vaterlandsliebe und Weltsprache
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Schumann, Wolfgang: Gestern, heute und morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0021

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Winkelpatriotisrnus dagegen, der heute den großen Mund führt, „das
deutsche Maul", das nach Bartschs neulichem Wort der größte Feind der
deutschen Seele ist, der scheint mir nichts anderes zu sein, als die neueste
Ausländerei von uns guten Deutschen, die wir vor lauter Eigenart nicht
daran glauben können, daß wir eine eigene Art von Patriotismus her--
vorgebracht haben könnten. Es scheint uns sichrer, nach alter Gewohnheit
erst in Paris zuzuschauen, wie ein ordentlicher Patriotismus auszusehn
habe. Sollte das Goethesche Ideal nicht vielleicht doch größer sein, als
das Ideal einer Zwangssprache für ein paar tausend Dänen oder Polen?
Eine Muttersprache der Menschheit-Ideale, der tzumanitas, aller „Geistig»
keit und Freiheit dieser Geistigkeit", um mit Fichte zu sprechen?

Wir haben seit der Goethezeit lange Iahrzehnte hindurch uns auf uns
selbst konzentrieren müssen und wünschen nicht ungeschehen, daß wir diesem
Gebot folgten. Wir haben darüber die Sympathien verloren, die wir
damals überall besaßen, und wünschen keine Sympathien zurück, die wir
nur durch politische Belanglosigkeit erkaufen könnten. Aber wo heute
sich die Blicke wieder hinausrichten, sollten wir uns der Aufgabe erinnern,
die Goethe unsrer Sprache zuwies und die wir nie hätten so weit ver«
nachlässigen dürfen. Gewiß wollen wir Einfluß für unsre deutsche Art
von Geistigkeit und Weltanschauung, nicht für chinesische oder indische und
sonst aller Welt Art. Aber erstlich (mehr ideell gesehen) kann nur der auf
das Menschheitsganze miteinwirken, der es kennt, versteht, durchschaut.
Und dem entspricht zweitens etwas sehr Realistisches: Wer die deutsche
Sprache lernt, um die Weltliteratur und damit die Geistigkeit der Welt
kennen zu lernen, wird unsrer eignen Geistigkeit schon in unsrer Sprache
näherkommen. Wenn unser Schrifttum es verdient, so wird er kaum
dabei stehenbleiben, aller Welt Schrifttum durch uns kennen zu lernen und
unser eigenes ungelesen zu lassen.

Wenn der deutsche Geist nichts andres könnte als, wie manche seiner
Wortführer wollen, den alten Irrweg der Babylonier und Perser, der
Griechen Alexanders, des Römertums der Cäsaren und der Franzosen
Napoleons durch Eisen und Blut noch einmal zu gehen, so braucht's ihn
dazu nicht. Denn darin sind uns die Engländer um eine Welt voraus.
Aber vielleicht liegt in der deutschen Eigenart, wie wir sie vorhin zu
umschreiben suchten, ein andrer Weg vorgezeigt zu einer Organisation der
Welt. Ein Weg auf Grund innerlichen und intimen Weltverständnisses.
Dafür würde das, wofür wir hier eintreten, ein starkes Stück Vorarbeit
bedeuten. Artur Bonus

Gestern, Heute und Morgen

^^^^ohin blicken unsre Prosadichter? Welche Zeit, welche Menschlichkeit
v Herfüllt ihr Schauen? Die Frage ist nicht müßig. Wer an ein „rein
künstlerisches" Urteil glaubt, wird vielleicht sagen: mir gilt es
gleich, ob einer chinesische Märchen von (000 vor Christus, eine Rovelle
aus Karls des Großen Leben, eine Phantasie über Casanovas Erdenwallen
oder eine Militärgeschichte von heute schreibt. Und merkt nicht einmal, daß
er damit auch die Maßstäbe des ästhetischen Urteils tief herabdrückt,
denn niemand widerspräche ja seiner zeitlich-räumlichen Weitherzigkeit,
sofern sie allein großeDichter einschlösse: Goethe ist uns im Prometheus
so lieb wie im Werther, im Faustzeitalter wie im Diwan. Aber wenn drei-

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