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FRANZ SKIZZE VON ANNA CROISSANT-RUST
ranz war e*n Charakter, unbestritten. Man mag die Nase darüber rümpfen, daß
ich dies sage, weil er nur ein armseliges, kleines Knechtlein in einem kleinen
j V Schwarzwaldgasthause war, ich will trotzdem versuchen, zu zeigen, daß ich
nicht Unrecht habe, ihn einen Charakter zu heißen. Möge man mir nur eine
,2 kleine Weile geduldig zuhören, was ich von ihm zu sagen habe.
Also Franz stand mir als Feind gegenüber, er sah über mich weg, bildlich gesprochen; denn,
obwohl ich nicht von ansehnlicher Gestalt bin, reichte er mir nur bis zu den Schultern. Dieser
Mangel an Größe war schuld, daß der Sechzehnjährige mich zuerst haßte, dann beargwöhnte,
worauf er zu guter Letzt auf seine Art noch ganz freundschaftlich zutraulich wurde.
Das kam so:
In einem selten warmen, blütenreichen Frühjahr hatte ich ein einsames Gasthaus gefunden.
Unterhalb der Windeck war es gelegen, mitten unter den Blütenbäumen, von Weinbergen und
Wiesen umgeben und hinter den Weinbergen fingen die Kastanienwälder an, die eben ihre
langen, chenilleartigen Blüten herabsenkten. Höher hinauf kam der Tannenwald mit den
herrlichsten, trockendsten Sandwegen, die man finden konnte.
Das Haus lag allein und schien still, was mich mit Glückseligkeit erfüllte. In diesem stillen
Hause wohnte ich wochenlang mit der lauten, sonstigen Welt ausgesöhnt, in Frieden und
Glück, soweit eben ein weibliches, schreibendes Wesen, gegen das sich auch im stillsten
Hause Geräusche verschworen haben, glücklich und friedlich leben kann. Zu dem Glück
gehörten außer der ländlichen Einfachheit die sauberen, braven Wirtsleute, das nette Zimmer
und der Blick auf die schön geschwungenen Schwarzwaldhöhen, die so ernst in ihren Konturen
aussahen und dabei heiter, ja übermütig im Sonnenschein erscheinen konnten. Dazu gehörte
die Aussicht auf das Flachland bis zu den Vogesen und dem Kaiserstuhl hinauf und hinüber
zum Rhein, wo sich das Straßburger Münster an hellen Tagen scharf über die Ebene hob,
über die reiche, satte Ebene. Das war das Glück. Die Geräusche aber, die Störer des Glückes
waren: — etwa in chronologischer Ordnung genommen — a) die Stimme des sehr fleißigen und
ausdauernden Hausgockels, b) die des ebenso ausdauernden, aber noch resoluteren nachbarlichen
FRANZ SKIZZE VON ANNA CROISSANT-RUST
ranz war e*n Charakter, unbestritten. Man mag die Nase darüber rümpfen, daß
ich dies sage, weil er nur ein armseliges, kleines Knechtlein in einem kleinen
j V Schwarzwaldgasthause war, ich will trotzdem versuchen, zu zeigen, daß ich
nicht Unrecht habe, ihn einen Charakter zu heißen. Möge man mir nur eine
,2 kleine Weile geduldig zuhören, was ich von ihm zu sagen habe.
Also Franz stand mir als Feind gegenüber, er sah über mich weg, bildlich gesprochen; denn,
obwohl ich nicht von ansehnlicher Gestalt bin, reichte er mir nur bis zu den Schultern. Dieser
Mangel an Größe war schuld, daß der Sechzehnjährige mich zuerst haßte, dann beargwöhnte,
worauf er zu guter Letzt auf seine Art noch ganz freundschaftlich zutraulich wurde.
Das kam so:
In einem selten warmen, blütenreichen Frühjahr hatte ich ein einsames Gasthaus gefunden.
Unterhalb der Windeck war es gelegen, mitten unter den Blütenbäumen, von Weinbergen und
Wiesen umgeben und hinter den Weinbergen fingen die Kastanienwälder an, die eben ihre
langen, chenilleartigen Blüten herabsenkten. Höher hinauf kam der Tannenwald mit den
herrlichsten, trockendsten Sandwegen, die man finden konnte.
Das Haus lag allein und schien still, was mich mit Glückseligkeit erfüllte. In diesem stillen
Hause wohnte ich wochenlang mit der lauten, sonstigen Welt ausgesöhnt, in Frieden und
Glück, soweit eben ein weibliches, schreibendes Wesen, gegen das sich auch im stillsten
Hause Geräusche verschworen haben, glücklich und friedlich leben kann. Zu dem Glück
gehörten außer der ländlichen Einfachheit die sauberen, braven Wirtsleute, das nette Zimmer
und der Blick auf die schön geschwungenen Schwarzwaldhöhen, die so ernst in ihren Konturen
aussahen und dabei heiter, ja übermütig im Sonnenschein erscheinen konnten. Dazu gehörte
die Aussicht auf das Flachland bis zu den Vogesen und dem Kaiserstuhl hinauf und hinüber
zum Rhein, wo sich das Straßburger Münster an hellen Tagen scharf über die Ebene hob,
über die reiche, satte Ebene. Das war das Glück. Die Geräusche aber, die Störer des Glückes
waren: — etwa in chronologischer Ordnung genommen — a) die Stimme des sehr fleißigen und
ausdauernden Hausgockels, b) die des ebenso ausdauernden, aber noch resoluteren nachbarlichen