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Zeitschrift für christliche Kunst — 26.1913

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Heft 11
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Honecker, Martin: Zur Erklärung der "Melancholie" Albrecht Dürers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4358#0180

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321

1913. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr 11.

322

Zur Erklärung der „Melancholie" Albrecht Dürers.

icht wenige SticheDürers geben dem
Kunsthistoriker schwere Rätsel
auf, wenn es gilt festzustellen,
was der Meister mit ihnen eigent-
lich hat sagen wollen. So hat auch der
Stich „Melencolia I" vom Jahre 1514 zu
einer bereits umfangreichen exegetischen
Literatur Anlaß gegeben, ohne daß unter
den Fachgelehrten eine Einmütigkeit erzielt
worden wäre. Den vielen Deutungen, die
dieser Stich schon erfahren hat, fügt
J. A. Endres ) eine neue hinzu, für die er
,,ganz bestimmte, positive Anhaltspunkte zu
besitzen" glaubt, wenn er auch angesichts
des Fehlens eines festen Beleges für sie nur
Wahrscheinlichkeit beansprucht.

Paul Weber2) hatte in den Einzelheiten
des Stiches Symbole für die freien und die
mechanischen Künste gesehen und das
Ganze zunächst als Darstellung des Welt-
schmerzes, schließlich aber als „einen Aus-
schnitt aus dem Seelenleben des deutschen
Volkes am Vorabend der Reformation" be-
trachtet. Endres lehnt die letzte Deutung
mit Recht ab, stimmt aber in der Erklärung
der Symbole mit Weber vielfach überein;
er geht jedoch noch weiter und bringt den
Stich mit der Philosophie des Nikolaus
von Kues in Zusammenhang, die Dürer,
wie der Verfasser glaubt, durch seine Freunde
in dem Nürnberger Humanistenkreise kennen
gelernt haben kann.

Endres geht davon aus, daß im Jahre
1514 in Paris eine Gesamtausgabe der Werke
des Nikolaus v. K. erschien und daß einige
Äußerungen in der Vorrede des Heraus-
gebers J. Faber über zwei Arten der Gottes-
erkenntnis wie eine programmatische Dar-
stellung der beiden Stiche „Hieronymus im
Gehäus" und „Melancholie" aufgefaßt
werden können, ferner davon, daß die Titel
einiger Schriften des Nikolaus v. K. (de ve-
natione sapientiae, de ludo globi) auf dem
Stiche „Melancholie" angedeutet erscheinen
(Hund, Kugel). Von Wichtigkeit soll aus

!) Albrecht Dürer und Nikolaus von Kues. Deu-
tung der Dürerschen „Melancholie". Die christliche
Kunst IX (1912/13) 33—52, 78—89, 110—120. Zu
Dürers „Melancholie". Ebend. X (1913/14) 78—81.

*) „Beiträge zu Dürers Weltanschauung". (Stud.
z. deutsch. Kunstgesch. 23), Straßburg 1900.

der kusanischen Philosophie vor allem sein,
daß nach Nikolaus die Vernunfttätigkeit,
über Sinnes- und Verstandestätigkeit hinaus-
gehend, die übersinnlichen Wahrheiten und
schließlich Gott intuitiv erfaßt.

Die freien Künste sind nach Endres
sämtlich symbolisiert (in den Einzelheiten
ergeben sich manche Abweichungen von
Webers Deutung); von den mechanischen
sind dagegen nur einige (als Vertreter) sinn-
bildlich bezeichnet. In der Hauptfigur sieht
Endres die mens humana; er weist auf
die kusanische Etymologie „mens a mensu-
rando" und auf den Zirkel in der Hand
dieser Figur hin und betont ferner, daß bei
Nikolaus v. K. der menschliche Geist als
„lebendiger Zirkel" bezeichnet wird. Den
Geldbeutel am Gürtel der Gestalt bringt
Endres in Beziehung dazu, daß Nikolaus
v. K. gelegentlich Gott mit einem Münz-
meister, den Menschengeist mit einem
Münzwechsler vergleicht. Den Symbolen
der freien Künste spricht der Verfasser eine
gewisse Vieldeutigkeit zu und bringt für die
einzelnen Deutungen mannigfache Parallelen
aus Nikolaus' Schriften bei. Von den
anderen Symbolen sollen vor allem jene von
Wichtigkeit sein, in denen mathematische
Gebilde wiedergegeben erscheinen. Das
Polyeder, die Kugel, der (kreisrunde) Mühl-
stein, das (gerade) Lineal, sie alle sollen
darauf hinweisen, daß nach Nikolaus v. K.
die mathematischen Gebilde den Aufstieg
zur Gotteserkenntnis erleichtern. Eine be-
sondere Rolle spielt in Endres' Erklärung
der Gegenstand links neben der Kugel, der
bisher als Tintenfaß gedeutet wurde, von
Endres aber als Kreisel angesehen wird;
Nikolaus v. K. versucht nämlich einmal an
dem Beispiel der Kreiselbewegung die
Koinzidenz der Gegensätze darzulegen. Auch
das magische Quadrat und die Kugel finden
bei Nikolaus v. K. Belege; er beschreibt ein
Kugelspiel, in dem die Zahl des magischen
Quadrates (34) von Wichtigkeit ist.

Die Bezeichnung „Melencolia I" deutet
Endres, unter gänzlicher Vernachlässigung
der Ziffer I, als „weiche Melancholie". Da-
mit soll jener Gemütszustand gemeint sein,
der „vielfach als Begleiterscheinung tief ver-
anlagter Geister angetroffen", aber „durch
 
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