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Menschen mit Intelligenzminderung und psychischer Störung: Qualitative Studie zur Überwindung von Spannungsfeldern zwischen Familie, Heim und Psychiatrie

Wehmeyer, Meike

English Title: Preventing and coping with challenging behaviour in adults with intellectual disability and mental disorder and their multi-carer network: Results of a qualitative longitudinal study

[thumbnail of Dissertation_Wehmeyer_Meike__2019.pdf]
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Abstract

Menschen mit Intelligenzminderung (IM) und psychischer Störung stehen gemeinsam mit ihren Unterstützern im Mittelpunkt dieser Forschungsarbeit. Die Lebenswelt von Betroffenen ist aufgrund kognitiver, sprachlicher und emotionaler Entwicklungsstörungen sowie der damit einhergehenden Beeinträchtigungen adaptiven Verhaltens in der Regel durch zahlreiche Behinderungen und Barrieren gekennzeichnet. Das Risiko, im Laufe des Lebens eine psychische Störung zu entwickeln, ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um ein Drei- bis Vierfaches erhöht. Mindestens jeder fünfte Betroffene weist eine psychische Störung auf, die Häufigkeit bedeutsamer Verhaltensstörungen wird mit bis zu 40% angegeben. Insbesondere aggressive Verhaltensstörungen führen vermehrt zu stationären Einweisungen und erschweren die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft. Die vorliegende Studie geht aus einem Praxisforschungsprojekt mit dem Titel ‚Systemtherapeutische Methoden in der psychiatrischen Akutversorgung von Menschen mit geistiger Behinderung‘ (SYMPA-GB) hervor. Das SYMPA-GB-Projekt setzte sich aus zwei Teilen zusammen: erstens einer mehrjährigen systemischen Weiterbildung, basierend auf dem empirisch bewährten, nachhaltig wirksamen Trainingsprogramm für allgemeinpsychiatrische Kontexte (SYMPA), zweitens einer multimethodischen Begleitforschung. Die der Dissertation zugrunde liegende Forschungsarbeit fokussierte auf Erwachsene mit IM, die in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe lebten und sich aufgrund stark herausfordernden Verhaltens bereits mehrmals oder längere Zeit in stationär-psychiatrischer Behandlung befanden. Das übergeordnete Ziel bestand in einer Analyse der Beziehungen und Kooperationen im Multi-Helfersystem (Familie, gesetzliche Betreuung, Heim, ambulante/stationäre Psychiatrie). Drei Fragestellungen waren forschungsleitend: Welche Spannungsfelder werden im Zusammenwirken der Beteiligten offensichtlich? Welches Handlungswissen dient dazu, aggressiv-eskalierende Interaktionen zu bewältigen oder zu vermeiden? Inwiefern entsprechen die eingesetzten Handlungsstrategien systemischen Theorien oder Praktiken? Für die Bearbeitung wurde ein qualitativer Forschungsansatz gewählt, die Annäherung an den Forschungsgegenstand erfolgte über Leitfaden-Interviews mit den Helfern sowie den Personen mit IM. Interviewfragen bezogen sich auf die zwischenzeitliche Entwicklung, die Beziehungen und Kooperationen im Helfernetz sowie das jeweilige Verhalten der Akteure im Kontext aggressiver Vorfälle. Innerhalb der 2,5-jährigen Erhebungsphase wurden mit jedem Interviewpartner bis zu vier Interviews geführt. Insgesamt nahmen 67 Personen an der Studie teil, davon 14 Personen mit IM unterschiedlichen Schweregrades. Ein zwischenzeitlicher Drop-Out war nicht zu verzeichnen. Der Datensatz bestand aus ca. 125 Stunden Textmaterial aus 188 Interviews. Dieses wurde via PC-gestützter qualitativer Inhaltsanalyse in ein Kategoriensystem überführt, welches sämtliche Strategien für ein gelingendes, möglichst konfliktarmes Miteinander von Personen mit IM und deren Helfern abbildet. Das Kategoriensystem erreichte eine sehr gute Inter-Raterreliabilität (Cohens K .91). Es wurden 30 interpersonelle Strategien ermittelt, die hinsichtlich Haltung, Kontakt, Kommunikation und Kontext generell zu einem gelingenden Miteinander von Personen mit IM und ihren Unterstützern beitragen. Weitere 13 Strategien konzentrieren sich auf kritische Situationen und spezifizieren, wie eine Eskalation vermieden, entschärft oder im Nachhinein aufgearbeitet wird. Die dargestellten Bedingtheiten, Kontroversen oder Ambivalenzen innerhalb oder zwischen einzelnen Strategien illustrieren mögliche Spannungsfelder in der Zusammenarbeit, so zum Beispiel das Pendeln zwischen der Entwicklung von Förderplänen und Zielvereinbarungen einerseits und der Akzeptanz von Barrieren und Grenzen in der Entwicklung andererseits. Ebenso bedeutsam ist ein Abwägen zwischen dem Nutzen, die Eltern in die Zusammenarbeit zu integrieren, und dem Auftrag, die Autonomie und Selbstbestimmung der Person mit einer Beeinträchtigungslage zu unterstützen. Einige Strategien lassen sich mit systemischen Denk- und Handlungsansätzen verknüpfen, dazu gehören die Akzeptanz subjektiver Wirklichkeiten und differierender System-Welten, die Sinnhaftigkeit von Problemverhalten, das Klären und Verhandeln von (gegenseitigen) Anliegen, die selbstreflexive Haltung im Hinblick auf Wechselwirkungen, die Fokussierung auf Ressourcen und Stärken von Betroffenen und Helfern sowie die Einstellung, zwischen allen Beteiligten für Transparenz, Mitbestimmung und einen wertschätzenden Austausch von Expertise zu sorgen. Die Strategien-Sammlung erhielt den Titel „SMILE: Systemisch-inspirierte Methoden für die Interaktion und Lösung von Eskalationsmustern.“ SMILE dient als Anregung für die inhaltliche und thematische Ausgestaltung systemisch ausgerichteter Weiterbildungsprogramme wie SYMPA-GB. Bedeutsame Themen sind z. B. der Ablösungs- und Verselbstständigungsprozess von Menschen mit IM, die Verteilung von Einfluss, Macht und Expertise im Multi-Helfersystem sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit IM an der fallbezogenen Zusammenarbeit. Das SMILE-Konzept stellt für den Bereich Intelligenzminderung – unabhängig von Schweregrad, Störungsbild oder Helferrolle – sowohl ein präventives Modell zur Beziehungsgestaltung als auch ein interventives Konzept zur Krisenbewältigung bereit, entwickelt aus der alltäglichen und kollektiven Handlungspraxis von Betroffenen sowie deren familiären wie beruflichen Helfern. Eine Stärke liegt in der detaillierten Darstellung nützlicher Handlungsstrategien für die Zusammenarbeit im Multi-Helfersystem an den Schnittstellen zwischen Familie, Heim und Psychiatrie. Grenzen ergeben sich durch die nicht-repräsentative Stichprobenauswahl, Verzerrungseffekte sind aufgrund der narrativen Zugangsweise nicht auszuschließen. Gleichzeitig unterstützt eine hohe Experten-, Konstrukt- und kommunikative Validität des Kategoriensystems die Gültigkeit der Befunde.

Translation of abstract (English)

A large interview study, evolved from the clinical research project SYMPA-ID (Systemic Methods in Acute Psychiatry for People with Intellectual Disability), focused on adults with intellectual disability (ID) and mental disorder who lived in a residential home and were in need of intensive psychiatric treatment. With the objective of analysing the interactions between the patients and their carers as well as the cooperations within the multi-carer system, both patients with mild to severe ID and their carers (relatives, legal guardians, professional carers of residential group homes as well as in- and outpatient psychiatric services) were surveyed several times between 2015 and 2018. Qualitative Data Analysis of 188 interviews with 67 participants resulted in a collection of 43 strategies concerning both attitudes and activities to prevent or cope with aggressive incidents. The results reached high interrater-reliability. Many of the strategies can be linked to systemic theory and practice and underline the importance of a (multi-)systemic approach. The tool-box was called SMILE: Systemic-inspired Methods for the Interaction and SoLution of Escalative Patterns.

Document type: Dissertation
Supervisor: Schweitzer-Rothers, Prof. Dr. Jochen
Place of Publication: Heidelberg
Date of thesis defense: 27 May 2020
Date Deposited: 22 Jun 2020 12:08
Date: 2020
Faculties / Institutes: Medizinische Fakultät Heidelberg > Medizinische Universitäts-Klinik und Poliklinik
DDC-classification: 150 Psychology
610 Medical sciences Medicine
Controlled Keywords: Intelligenzminderung, psychische Störung, Geistige Behinderung, multisystemisch
Additional Information: Diese Arbeit wurde im Erscheinungsjahr mit folgenden Preisen ausgezeichnet: Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP), Gemeinsamer Systemischer Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) und der Systemischen Gesellschaft (SG)
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