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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 4.1961

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Nr. 2
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Pudelka, Alfred: Latein als erste Fremdsprache: ein Lagebericht aus West-Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.33060#0029
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Latein als erste Fremdsprache

Ein Lagebericht aus West-Beriin
von Oberstudiendirektor yU/reJ PMde/Aa, FerJw

Vor einigen Wochen korchten in Berlin nicht nur die Altphilologen auf, als an drei
Tagen hintereinander und an zwei weiteren Sonntagen eine der meistgelesenen Tages-
zeitungen „Der Tagesspiegel" eine sehr lebhafte Diskussion über das Thema „Latein
als erste Fermdsprache" auslöste, an der - vom Senator für Volksbildung angefangen -
Fürsprecher und Gegner aller Kreise beteiiigt waren.

Um auch außerhalb unserer Mauern Verständnis für unser öffenthches Auftreten
zu hnden, muß ich kurz die Berliner Lage skizzieren. Das Beriiner Schulgesetz schreibt
die sechsjährige Grundschule vor. Mit der 5. Kiasse (Sexta) beginnt die erste Fremd-
sprache. Die Eltern können wählen zwischen Engiisch, Latein oder Französisch, das vor
einem Jahr an einer Schule eingeführt wurde. Wer Latein wähit, kommt im aligemeinen
in eine Lateinklasse einer Grundschuie und geht mit der 7. Kiasse (Quarta) auf ein
Gymnasium über. Hier kann er dann ein Jahr später wähien, ob er den aitsprachiichen,
neusprachiichen oder mathematisch-naturwissenschafilichen Zug besuchen will. Solche
Lateinkiassen gibt es in 7 Bezirken (Berlin hat 12!). In dcr Nähe behndet sich die
weiterführende Schuie, die aiierdings nur in 4 Fäiicn den aitsprachiichen Zug führt.

Neben diesen Grundschulkiassen bestehen noch 2 grundständige Gymnasien, die von
der Sexta bis zur Oberprima als nur aitspraAiiche Gymnasien aufgebaut sind, dazu 2
private konfessioneiie und das Französische Gymnasium als Sonderform.

Ein Außenstehender könnte sagen, man solie damit zufrieden sein. Wir wären es
vieileicht auch, wenn uns nicht eine große Sorge erfüilte: Es wird uns sehr schwer ge-
macht, an die Eitern der 4. Kiassen heranzukommen. Es ist zwar auf unseren Wunsch
eine Eiternversammlung für iateininteressierte Eltern angeordnet worden, doch müssen
wir immer wieder zu unserem Bedauern feststellen, daß die Einladung an die Eltern
oA gar nicht oder sehr nachlässig ausgesprochen wird. Sind Kinder da, die den Wunsch
nach Lateinunterricht äußern, redet man es ihnen mit den üblichen Argumenten aus
(„zu schwer, tote Sprache, wozu?, willst du denn Pastor werden?" usw.). Wir haben
zwar Verständnis, daß der GrundschuIIehrer ungern seine besten Schüler - meist handelt
es sich ja um diese - abgibt, aber haben wir nicht alle die Verpflichtung, für das Kind
das Beste zu tun?

Da viele Eltern eine zweimalige Umschulung scheuen, verzichten sie auf das Latein.
Daher ist von uns mehrmals der Antrag gestellt worden, diese 5. und 6. Lateinklassen
in das Gebäude der weiterführenden Schule zu legen. Leider liegt hier eine Verfügung
vor, die angeblich nur vom Abgeordnetenhaus geändert werden könnte. Damit wird
aber aus der pädagogischen eine politische Entscheidung.

Immer haben wir uns gewehrt, daß man solche Fragen nach politischen Gesichts-
punkten entscheiden sollte. Doch ist die Mehrheit, die die sechsjährige Grundschule
verhcht, so stark und hart, daß sie nicht einmal diese kleine Erleichterung für 7 Schulen
- (von 60 Gymnasien Berlins!) - zuläßt.

So ist es gekommen, daß durch die unterdrückte Aufklärung der Eltern und durch
das Gebot der zweimaligen Umschulung viele vom Lateinunterricht zurückgehalten
werden, die sich bestimmt für ihn entschieden.

Trotz dieser Schwierigkeiten sind für das neue Schuljahr zehn 5. Klassen angemeldet
worden; ein Zeichen, daß das Interesse durchaus vorhanden ist. Als ich vor einem Jahr
im Auftrag des Senators für Volksbildung eine Revision der Berliner 5. Lateinklassen
durchführte, konnte ich als Ergebnis feststellen, daß der Unterricht und die Unterrichts-

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