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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 11
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Carolus: Nebel am Rhein
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Lissauer, Ernst: Hans Hopfen als Lyriker und Balladendichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0190

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Nebel am Rhein.

Da wir auf der Höhe ftanden und Form und Weite
nicht sahen, und Himmel und Erde für unö in EinS
verschmolz, war eö, alS ob der Bogen des Flusseö ein
doppelter Schnitt in den dunkelnden Himmel sei.

Nun sehe ich auö dem Fenster meineö hochgelcgenen
Zimmers über die kleine Stadt aus den Rhein und

weit hinüber in sein Tal. Da kommt es wie von
selbst, daß ich vom Nebel am Rhein schreibe. Er liegt
auf den blaugraucn Schieferdächern, er sinkt zwischen
die Häuserreihen und webt ein sarbigeö Grau lebendig
über das andere. Der Rhein hat hier zwei Arme.

Iweimal springt die Sonne slammend in den Strom
und sprüht Funken, sodaß die Schatten tief dunkeln
wie Kobaltglasuren. Drüben am User sehen die
Bäume aus, wie auö bronzeschwarzem Glanzpapier
mit der Schere geschnitten. Dahinter beginnt die

Talebene mit einem moosigen Grün, daö in der

Weite immer schimmliger wird, biö die Ebene saft un-
merklich in Berge übergeht. Ein, zwei, drei, fünf,
acht, zehn Bergrücken überschneiden einer den andern.
Sie sind fast rosaviolett, alle rosaviolett, aber einer ist
genau eine Nuance heller alö der andere. Die letztcn
wissen nicht, sollcn sie rosa oder blau sein. Doch je
tieser die Sonne steht, desto rascher wird der Zweisel
cntschieden. Jetzt sind sie gelb, hell, ganz hellgelb- Je
gelber die Weite wird, desto blauer wird die Nähe,
dunstig, verschwommen und doch massig, fast monu-
mental. Ein süßer, welker Duft kommt durchs Fenster,
am Rheinufer kriechen durch den Nebel dicke weiße
Schlangen am Boden hin: die Kartoffelfeuer brennen.

Nebel und Kartoffelseuer, später Tag und frühe
Nacht: daö ist der Herbst.

Jm Herbft denke ich an dich, rede von dir, rühme
dich, seiere dich, verkünde freudig deine Schönheit, du
Nebel am Rhein.

ans Hopfen als Lyriker

und Balladendichter.

Die ersten Verse Hans Hopfenö erschienen in dem
ersten „Münchner Dichterbuch", das Geibel 1862 heraus-
gab; eine Sammlung solgte erst mehr als ein Jahr-
zehnt später.* Seine Lyrik uno Batlade ist wenig be-
k'annt. Eine eindringlichere Würdigung dieser Gcdichte
gibt es biS jetzt nicht.

Die Gedichte Hopfens habcn ihm selber wohl nicht
im Ientrum des Schaffens geftanden. Er hat nicht
viele geschrieben, und ein großer Teil ist nicht ver-
dichteteö Leben, sondern künstlerische Randbemerkung
zum Leben.

Das entscheidend Charakteristische der Hopsenschen
Gedichte ist das schars kontraftierte Nebeneinander
eineö völkisch - derben und eines mondain - verfeinerten
Elements.

Jenen Gedichten eignet etwas von dem Stamm, dem
Hopfen angehörte: sie sind bäurisch aus bajuvarische Art-

' Verlag des „Allgemeinen Vereins für deutsche Literatur".
Berlin. — Jhr sind die in diesem Heft abgediuckten Hopfenschen
Gedichte entnommen.

Wie in der epischen Prosa, verwendet Hopsen auch hier
oberbayrische Motive: sein „Vagabunden"-Gedicht ist
erfüllt von der kräftigen Lustigkeit oberbayrischer Dorf-
und Marktschänken; er singt das größte Ereignis der
oberbayrischen Geschichte, die Sendlinger Bauernschlacht;
München erscheint mehrmals mit Schrannenplatz, Marien-
säule, HofbräuhauS. Freude an derben Berufen und
ihrem Wesen ist zu spüren, an Bauern und Fuhrleuten,
an Trunk und Karteln, an Juchen, Fluchen und Auf-
dentischschlagen. Das „Vagabunden"-Gedicht ist ein
rechtes Bauernwirtöhausstück und das von der Send-
linger Schlacht eine rechte Bauernballade: klobig aus
Eichenholz gehauene Stücke. Der Dichter selbst spürt
in sich etwas von bayrischem Bauerntum: in dem Ge-
dicht „Besuch", darin ihm seine liebsten Geftalten er-
scheinen, grüßt er die „Helden der Sendlingcr Schlacht"
als „Landsleut'". Jn diesem Bereich der Kraft hat er
das Stärkste gelcistet, was ihm in Versen gelungen ist:
wenige Stücke, doch außerordcntliche Leistungen. Wenn
daö „Vagabunden"-Lied allenfalls noch als genrehaft
zu bewerten ist — zu bewerten; denn das Wort „Genre"
bedeutet nicht nur einen Gattungs-, sondern auch einen
Rangbegriff-, so ist die „Bauernschlacht", trotz einiger
Länge, eine eminente Ballade, die alles Dröhnen jener
Neujahrönacht von 1705, Sturmläuten, Stampfschritt
nagelschuhschweren Marsches, Klirren von Sensen auf
Säbeln, mit voller Gewalt in ihre harten und massiven
Rhythmen eingeschloffen hält, „die Not" ein geschichtlich-
politisches, von einem mythischen Halblicht überglänztes
Gedicht, und der „Trinkspruch" (gegen den Londoner
Vertrag) gehört, wenigstens mit der ausrührerisch frechen
Rhythmik der ersten Strophen, zum Allerbesten der
politischen Lyrik. Aber auch das Gedicht aus die Ier-
störung von Dietri'chs Palaft durch die Pavesen, aus
dem einige prachtvolle balladische Momente herausragen,
ift ein guteö erzählendes Gedicht, und der „Trinkspruch"
gehört auch mit seinen schwächeren Partieen in jede
Anthologie politischer Lyrik.

Und gegenüber dicsem Element ungeschlachter Natür-
lichkeit und Wucht ein genau entgegengesetzteS, eine
Salonwelt voller Flirt und Amouren, voll Grazie und
Formen: dort Jäger und Handwerköburschen, hier
Damen in eleganten Seidenroben, dort oberbayrische
Schänken, hier das Sachersche Restaurant in Wien,
dort Wald, hier Boudoirs mit brlo-ä-brrio, Bronzebüsten
und Pendule.

Die Dichter jener Tage, die Münchner und ihr
Anhang, haben eine Art von mondainer Lyrik kultiviert,
die es vorher in dieser Weise kaum gegeben hat. Es
ist eine Lyrik, für die das Gesellschaftliche an sich
bedeutsam ist, eine durchaus ftädtische, mittel- oder
großstädtische, Lyrik, und sie erscheint eben bei Dichtern
wie Heyse oder Hopfen, die in Großftädten gewohnt
haben. Jn neuester Ieit finden wir solche mondaine
Lyrik bei den jungen Wienern, die überhaupt in zahl-
reichen Beziehungen Nachkommen der Münchner sind,
etwa in Dörmanns „Jnterieur"- Gedichten, und einö der
wenigen Gedichte, die von Arthur Schnitzler bekannt
geworden sind, ist bezeichnenderweise ein Dinergedicht.
Das Charakteristische dieser Art von Lyrik aber beruht
nicht nur aus dem Stofflichen, denn sonft würden auch

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