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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 3./​4.1921/​22

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2. Februarheft
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Pazaurek, Gustav Edmund: Ein Denkmal deutscher Gründlichkeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.21786#0328

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FAie „deutschen Zinngießer und ihre Marken“ nennt sich ein groß-
angelegtes Werk, von dem uns nur die ersten beiden statt-
lichen Bände vorliegen, und dei Breslauer Prof. Dr. Erwin
Hintze vom Schlesischen Museum fiir Kunstgewerbe und Alter-
tiimer ist sein Verfasser. Auch die weiteren Bände, für die das
Material zum größten Teile beisammen ist, können in rascher
Aufeinanderfolge erscheinen, und dann wird die deutsche Wissen-
schaft wieder eines jener Werke besitzen, dem das Ausland nichts
Ebenbürtiges an die Seite zu stellen vermag. Eine ganze Bände-
folge nur dem alten deutschen Zinn gewidmet! Und nicht etwa
eine Entwicklungsgeschichte des Prunk- und Gebrauchzinns —
diese hätte sich viel bequemer schreiben lassen und hätte, auf
geringerem Umfang beschränkt, mit schönem Abbildungsmaterial
sogar verlockender aussehen können — nein, nur Meisterver-
zeichnisse und Marken, zahllose Marken, meist von zufällig er-
haltenen Objekten, die nicht immer nennenswerten künstlerischen
Belang besitzen! Erscheint dies dem fernestehenden nicht gar
als eine ungeheuere Kraftverschwendung? —

Hintzes Werk ist keine Unterhaltungslektüre für den mehr
oder weniger „Gebildeten“, es ist ein, mit einem geradezu einzig
dastehenden Aufgebot an rastlosem Fleiße zusammengetragenes
Nachschlagewerk für den Fachmann; aber gerade dieser weiß
den Wert einer solchen Arbeit zu würdigen und dankt dem
Breslauer Kollegen für seine ausdauernde Mühewaltung und die
echt deutsche Griindlichkeit, mit der hier fiir eine wesentliche
Gruppe des Kunsthandwerkes eine ganz neue Basis geschaffen
wurde. Haben doch zahlreiche Zinngießer, denen wir nun auf
anscheinend unbedeutenden Gegenständen hier zum erstenmale
begegnen, auch stolze Werke geschaffen, deren nähere Feststellung
bisher jedem Versuche spottete, die aber jetzt durch die
Markenübereinstimmung ein Kinderspiel geworden ist.

Was K. Berling vor Jahren zuerst eingeleitet und andere, wie
Gurlitt oder Demiani fortzufiihren bemüht waren, was Marc Rosen-
berg auf dem Gebiete der Goldschmiedekunst in großem Umfange
ebenfalls besser, als es das ganze Ausland tat, unternommen und
beständig weiterführt und zu verbessern sucht, stellt Hintze,
der fleißigste und gewissenhafteste Forscher in der Geschichte
des deutschen Kunstgewerbes, gleich mit einem Male auf feste
Füße, nachdem er bereits die Goldschmiedemarken seines engeren
Arbeitsgebietes, nämlich von Schlesien, gründlich „erledigt“ hatte.
Welche erstaunliche Arbeitsleistung in diesem Werke liegt, wird
nur jener ungefähr ermessen können, der es einmal auf be-
schränktem Gebiete versucht hat, alten Stadt- oder Meistermarken
nachzugehen. Alle öffentlichen und privaten Sammlungen müssen
Stück für Stück genau durchgemacht werden, entlegene Schlösser
oder Kirchen sind aufzusuchen, der ganze Antiquilätenmarkt un-
ausgesetzt zu verfolgen, damit einem nicht Wichtiges entgehe;
und dann erst das Ordnen und Verarbeiten eines Riesenmaterials,
das einem zu ersticken droht, und die endlosen Korrespondenzen,
um zahllose Fragen, die erst während der Sichtung sich entgegen-
stellen, klären und beantworten zu können. Aber selbst damit
hat sich Hintze keineswegs begnügt; er hat auch alle erreichbaren
Zunftakten, ja — wo es ihm halbwegs möglich war — auch die

Kirchenregister nach Zinngießernamen getreulich abgesucht, wo-
durch er über Rosenberg weit hinausgeht; aber erst dadurch
gewinnt man — da ja die Vorarbeiten, die überall die Lokal-
forschung besorgen sollte aber erfahrungsgemäß fast nirgends
besorgt hat — die entsprecher.de Grundlage, um später noch
irgendwo auftauchende, unbekannte Marken selbst deuten zu können.

Die beiden bisher erschienenen Bände beziehen sich auf
Sachsen und die ehemalige Reichs- und Kunststadt Nürn-
berg, Dies ist kein Zufall: In Sachsen haben wir die älteste
Kunstzinn-Tradition und die besten Zinnsammlungen; und Nürn-
berg hat auf deutschem Boden mit die allerschönsten alten Zinn-
arbeiten von Kunstwert erstehen lassen. Es war naturgemäß,
gerade da, wo die Nachfrage am Iebhaftesten sein mußte, am
raschesten eine Antwort, eine so gute Antwort darzubieten; der
Verfasser hat ja schon wiederholt bewiesen, daß er nie davor
zurückschrickt, das Brett dort zu bohren, wo es am dicksten ist.

Alle M a r k e n sind — in diesem Punkte hatte schon Rosen-
berg mit dem alten Markenschlendrian eines Grässe - Jännicke
gründlich aufgeräumt — überaus sorgfältig in anderthalbfacher
Größe, also sehr deutlich gezeichnet, wobei Hintze von drei
Breslauer Mitarbeiterinnen vorzüglich unterstützt worden ist.
Daß er bei seinen selbstlosen Forschungen durch den schlesischen
Rittergutsbesitzer Dr. E. Gallinek eine freundliche Unter-
stützung fand, sei mit Anerkennung hervorgehoben, weil dies
eine viel zu seltene Ausnahme bildet. Die meisten wohlhabenden
Persönlichkeiten, die mit der Erwerbung eines Exemplares des
Buches, das auch ihnen so vorzügliche Dienste leistet, sich von
jeder Verpflichtung losgekauft zu haben glauben, ahnen gar nicht,
daß solche hingebungsvolle Forscherarbeiten in der Regel von
keiner Seite entlohnt werden, sondern dem Verfasser, der m'cht
immer über große finanzielle Reserven verfügt, schon durch die
Reiseauslagen so namhafte Opfer aufzuerlegen pflegen, daß man
schon ein großer Idealist sein muß, um unter persönlichen Ent-
behtungen der Welt ein solch stattliches Geschenk machen zu
können. Wäre Hintze für seine jahrelangen unausgesetzten
Arbeiten etwa nach dem Überstunden- und Nachtarbeitstarif
z. B. eines heutigen Straßenbahnschaffners zu bezahlen, so könnte
er sicherlich die schönste Villa nebst Auto sein eigen nennen.
Es erscheint wohl gerade in unseren Tagen, die die Kopfarbeit
leider so gering schätzt, nicht überflüssig, darauf hingewiesen
zu haben und anderseits unserer Freude Ausdruck zu geben. daß
es zum Glück gerade unter den deutschen Forschern noch genug
selbstlose Idealisten gibt, denen das Bewußtsein, eine gute Arbeit
geleistet zu haben, über alles geht.

Wenn wir keinen Weltkrieg gehabt hätten, der auch Hintze
zwang, des Kaisers Rock anzuziehen, wäre das große Zinnmarken-
werk wohl bereits ganz abgeschlossen und sicherlich billiger zu
haben gewesen, als dies jetzt der Fall ist. Nicht jeder Sammler,
selbst Durchschnitts-Sammler wird den Kaufpreis dieser Bücher
aufbringen können, ja selbst manche öffentliche Anstalt wird
unter den derzeitigen Zuständen vielleicht mit der Anschaffung
zurückhalten rnüssen. Und doch handelt es sich bei diesem, tat-
sächlich für jede kunstgewerbliche Forschung schlechthin unent-

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