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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Hardt, Ernst: Eine Reisebeschreibung: Nachtstück
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Unsere Bilder, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0258

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172

MODERNE KUNST.

zu Wipfel in weiten Bogen über das Land--Ich pflückte von den Cypressen-

spitzen Zweige ab und sammelte sie in meinem Schoosse — Bald hoben wir uns
in rasendem Fluge und eilten über eine mächtige Felswand hinweg — Eine un-
absehbar grosse Landschaft lag unter uns, — düster und grau waren ihre Farben,
sie hatte keine Bäume, keine Pflanzen — öde lag das Land da — Von unten
stieg eine Starre zu uns heran, bleischwer drang es in meine Glieder, die Be-
wegungen meiner Engel wurden gelähmt, müde und langsam strichen sie weiter
— — Ein tiefes Mitleid erfasste mich und ich liess meine Cypressenzweige hinab-
fallen, einen nach dem anderen warf ich hinunter in das traurige Land — Der

letzte Zweig kam an die Reihe, wehmüthig blickte ich ihn an — eine Erinnerung
aus glücklichen Zeiten, — ich blickte ihn an, — — dann liess ich ihn aus meiner
Hand langsam hinabgleiten, hinabfallen zum gestorbenen Land — aber da — da
fiel auch ich — unaufhaltsam sauste ich hinab, ich wollte schreien — ich hatte
keinen Athem, keine Luft — ich griff mit den Händen um mich, — da fasste ich
etwas, Gott sei Dank — — — — Aufrecht sass icli in meinem Bett und rieb mir
verwundert die Augen — Ich schaute zum Fenster — grauer, trüber Himmel,
wie immer, und da, — ja da lag vor mir auf dem Bettteppich die weisse Um-
hüllung des Schlafpulvers!

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vf||nsere J^ilder.

'enn man unseren Fin de siecle-Schriftstellern glauben wollte, dann wären wirkt die Versöhnung des schlichten ländlichen Arbeiterpaares auf dem Felde
wir recht weit abgekommen von der Natur und lebten in einer ver- ebenso ergreifend, wie eine Eifersuchtsscene mit darauf folgender Wiederver-
künstelten Welt, deren Zusammenbruch früher oder später zu erwarten wäre. einigung im Salon. Das Milieu und die Ausdrucksfoim wechseln, das Motiv
Und doch ist das Menschliche, das Ewig-Menschliche allüberall und zu allen Zeiten und die Folgen bleiben ewig dieselben. Darum haben wir auch G. Gamberini's
dasselbe, in der Natur, wie in ihrem Spiegelbilde, der Kunst. Mass und Liebe ländliche Liebesscene „Pyramus und Thisbe" genannt. Das alte babylonische
regieren die Welt nach wie vor, und ihre Schilderung in Wort und Bild ergreift Märchen von dem Liebespaar, das, durch eine Mauer getrennt, sich erst im Tode
die Herzen wie die Wirklichkeit. Auf H. Temple's Bilde „Die Rechtfertigung" vereinigt, wiederholt sich tragikomisch seit Anbeginn der Welt, und ein aus

dürren Zweigen geflochtenes Gitter ist dem kecken
Jägersmann nicht weniger hinderlich, als derfesteste
Backstein. Auch das Mutterglück bleibt ewig das-
selbe. Ed. Lebiedzki verlegt seinen Schauplatz
in eine idyllische Ideallandschaft. Nach dem er-
frischenden Bade dehnt sich das junge Weib im
weichen Grase und schwingt jauchzend seinen
Liebling in die Höhe, der lachend und zappelnd die
Aermchen nach ihm ausstreckt. Debat-Ponsan
lässt ein ländliches Ehepaar im Abendsonnen-
schein vom Felde zurückkehren. Die Mutter trägt
den Säugling auf dem Arm, dessen Händchen in der
arbeitsharten Faust des stolz daneben schreitenden
Vaters verschwindet.

Die Genüsse der besser situirten Minderheit
mögen anders geartet sein, ob sie quantitativ
grösser sind, ist schwer zu entscheiden. Das
Kammerzöfchen auf M. Duboy's Bilde „Zu heiss"
schlürft seine Morgen-Chocolade mit sichtlichem
Wohlbehagen, als ob des Lebens ganzer Jammer
sie niemals berührt. Aber wenn die launische
Herrin sie scheltend ruft, lässt sie sicherlich er-
schreckt die chinesische Tasse fallen und eilt
ängstlich, die Wünsche der eben erwachten grande
Dame zu erfüllen. Denn sie sind nun einmal lau-
nisch und unberechenbar, die Damen der Gesell-
schaft, denen die wirklichen Leiden des Daseins
nichts anhaben können. In ihnen arbeitet die Ein-
bildungskraft ganz anders, wie in den arbeitsmüden
Kindern des Volkes. Bietet ihnen das Leben nicht
Emotion genug, so suchen sie solche in „spannen-
den Geschichten", die sie bis tief in die Nacht
hinein lesen, wie die halb entkleidete Schöne auf
C. A. Lenoir's Bilde.

Die Legende von dem Verkehr Christi mit
„Martha und Maria" ist eine der schönsten und
sinnreichsten, ist von hohem malerischem Reiz
und hat eine Reihe von Kunstwerken erster
Meister hervorgerufen. R. Eichstaedt hat sich
mit seinem Bilde würdig seinen Vorgängern an-
gereiht.

Meister Zeniseks Bild „Udalrich und Bozena"
erklärt sich von selbst. Es ist die ewige Mär von
dem berückenden Einfluss der Frauenschönheit-
Stolz und selbslbewusst ist der edle Udalrich zur
Jagd hinausgeritten. Wird er ebenso kühn und
stark zurückkehren vom edlem Waidwerk? Das
schöne Wild, das er da erjagt, vor dem sein Ross
scheut, auf das die Meute losfährt, lässt für seine
ritterliche Mannhaftigkeit fürchten.

Ob die Italiener auf Simon's Bilde „Der Streit"
es so gar ernst nehmen mit ihrer kampflustigen
Haltung? Der Künstler möchte es glauben machen,
und doch ist die Sache am Ende nicht so schlimm,
wie sie aussieht. Die sicher aus Eifersucht ge-
zückten Messer werden wieder in die Scheide
G. Gamberini. Pyramus und Thisbe. fahren trotz aller gewaltsamen Gebärden.
 
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