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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [3]: humoristischer Roman
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Roderich, Albert: Gedankensplitter
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0124

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32

MODERNE KUNST.

Von der Wiese nach Amalienruh, in sausendem Galopp, schweigend.
Er war sehr erhitzt. Nur vom Mähen? Frau Amalie hatte sich fortwährend
abgemüht, die alte Reisedecke über seinen Knien festzuhalten, damit er
sich nicht erkälte. Kein Blick von ihm hatte es ihr gelohnt. Nur einmal,
da ihr Haupt dem seinigen nahekommen war."

„Heiliges Milliarden!" hatte er geschrieen. „Wenn ich Dir's doch
sage, dass es nicht geht! Denn, wenn . . ."

Seine Lippen hatten sich plötzlich geschlossen, die Peitsche war her-
niedergesaust, — Galopp, Steinregen, Schweigen. Er brachte es nicht
über sich; sein harter Sinn Hess es nicht zu.

Auf Amalienruh Revision aller Ställe und Speicher, Abschreiten sämmt-
licher Felder, endlose Conferenzen mit dem Phildoctor über Kleinigkeiten,
die schon tausend mal besprochen waren. Dann wieder Galopp, Stein-
regen, Schweigen.

Als der Einspänner vor der Thür von Rochollshof hielt, war es bereits
dunkel geworden. Herr von Rocholl sprang zur Erde herab, warf einem
herbeigeeilten Knechte die Zügel zu und bot Frau Amalie die Hand zum
Aussteigen. Diese Hand brannte wie Feuer.

Dann standen sie sich für einen Moment gegenüber. Otti's Vater und
Otti's Mutter, und etwas wie Mitleid mit ihm kam über sie, da sie in sein
schwärzliches, zuckendes Gesicht sah.

„Oh Winand", stammelte sie, „sei gut zu ihr, sei gut!"

Er Hess ihre Hand los.

„Ich bin gut! Aber bei Gott, Amalie, es ist unmöglich! Denn, wenn —
Was giebt's zum Abendbrot?"

„Graupensuppe mit Pflaumen!" antwortete sie erstickt.

„Bring' mir einen Teller davon auf mein Zimmer!"

Er wandte sich schroff herum unfj stieg mit schweren Schritten die
Treppe hinauf. Frau Amalie starrte ihm fassungslos nach.

„Winand!" rief sie endlich, da seine Gestalt in der Thür verschwand.
„Du willst nicht mit uns zusammen essen? Und Otti . . .?

„Auf mein Zimmer!" klang es rauh zurück. „Und ein Stück Brot!"

Frau Amalie senkte traurig das Haupt. Er hatte kein Mitleid mit ihr

und mit den Kindern. Sein Herz war von Stein. Er war ein Barbar.

* ■>:■
•x-

Als sie eine halbe Stunde später bei ihm eintrat, eine Tablette mit
der Graupensuppe, dem Stück Brot und einen Löffel in der einen Hand,
in der anderen eine Serviette und unter dieser Serviette etwas Rundes,
geheimnissvoll Verstecktes tragend, lag er auf dem alten, harten Leder-
sopha lang ausgestreckt, dem Zimmer den Rücken kehrend. Er drehte
sich auch nicht um, während sie das frugale Abendbrot auf dem Tische
ordnete, den Löffel rechts, das Stück Brod links und den Teller in der
Mitte, während sie aus der Serviette eine hohle Pyramide formte und in
dieselbe das Runde geheimnissvoll versteckte, so dass er es erst beim
Fortnehmen der Serviette zu finden vermochte.

Dann ging sie geräuschlos zur Thür zurück und erst, als sie dieselbe
geöffnet hatte, sagte sie laut: „Winand, die Suppe ist da!"

Im nächsten Augenblicke war sie draussen und stand Otti gegenüber,
die mit blassem Gesicht ihre Hände über der Brust gefaltet hielt, als wolle
sie selbst das leise Geräusch ihres Herzschlages ersticken.

„Nun, Mama?" flüsterte sie athemlos.

„Er schläft!" gab Frau von Rocholl ebenso zurück. „Oder er thut
nur so! Er thut es immer, wenn er nicht reden will! Er hat es deshalb
auch nicht gemerkt, dass ich das Tellerchen mit den Erdbeeren und dem
Zucker unter die Serviette stellte. Ich hätte sie sonst wieder mitnehmen
müssen, da er will, dass sie verkauft werden. Wenn er nur nicht böse
darüber wird! Oh, Otti, musst Du wirklich heute noch zu ihm gehen?"

Otti's Gesicht wurde noch blasser und ihre Hände drückten sich noch
fester in einander.

„Heute noch Mama! Morgen muss ich zur Stadt zurück. Und wenn
Erich erfährt, dass ich hier war und nichts ausgerichtet habe, — und er
wird es sicher erfahren; denn ich kann ihm nichts verheimlichen! — so
wird der Bruch mit Papa noch schlimmer. Erich ist so stolz! Er sagt,
ein Richter dürfe von Niemand ungestraft verletzt werden! Und da ich
seine Frau bin, so . . ."

Sie wandte sich ab und Frau Amalie sah, wie 'ihre zarten Schultern
zuckten.

„Weine nicht, Kind!" sagte sie leise und zog Otti an sich, um ihr die
schmalen Wangen mit ihren arbeitsharten Fingern zu streicheln. „Es wird
ja alles noch gut werden. Und Papa wird . . . wenn er nur die Erdbeeren
isst! Wenn er sie nur nicht stehen lässt! Denn, Otti, davon hängt alles
ab! Er hat in diesem Jahre noch keine gegessen, wir haben sie alle auf
den Markt geschickt. Und er isst sie doch so gern! Leidenschaftlich!
Nichts isst er lieber! Und sie machen ihn so nachgiebig, fast weich!
Glaubst Du denn, dass Leo im vorigen Sommer das Kattunkleid bekommen
hätte, wenn ich Papa nicht Erdbeeren mit Zucker . . .?"

Sie vollendete nicht. Das Sopha drinnen hatte geknarrt und zwei
Füsse hatten sich schwer auf die Diele gestellt. Gleich darauf tönte
Winand's Stimme zornig auf den Corridor hinaus.

„Zum Henker, was ist das wieder für ein Unsinn! Mir Erdbeeren vor-
zusetzen und gleich von den besten! Als wenn das Geld hier nur so in
Haufen umherläge! — Amalie! Zum Donner, Amalie!"

Seine Schritte näherten sich der Thür, und Otti zog ihre Mutter
angstvoll in eine dunkle Nische des Corridors.

„Er wird hierher kommen, Mama, und sie zurückbringen!"

„Dann wäre alles verloren!" seufzte Frau Amalie, um dann erwartungs-
voll aufzuhorchen und hoffnungsvoll zu lächeln. Die Schritte waren nicht
bis zur Thür gelangt, sie waren wohl in der Mitte des Zimmers stehen
geblieben, zögernd, als ob sie sich nicht entschliessen könnten, sich von
den Erdbeeren zu entfernen. [Fortsetzung folgt.]

2

Gedankensplitter.

^ Von Alb. Roderich.

£/ie Ihr beschcid'nes Glück ertrugt,

Gebt Acht, scheint Euch ein grösseres zu winken!
Wo man bei Ebbe Muscheln sucht,
Da kann man bei der Fluth ertrinken.

Zu vermeiden jedes Wagen;
Man kann einen Blitzableiter
Doch nicht in der Tasche tragen.

^3

u zogst allein, das Herz voll Sehnsucht, aus,
Die ganze Welt war Dir ein ödes Haus;
Daheim ein Herz, das treu sich Dir gesellt,
Dein kleines Haus ist eine ganze Welt.

jfchön ist Deine Braut, doch wie könnt' es gcscheh'n, ' ^$)as Leid erst zeigt, das Ihr durch sie empfunden,

Dass Du all' ihre Fehler hast überseh'n?" Ob treue Lieb' zu treuer Lieb' gesellt;

Drauf hat still ergeben mein Freund gesprochen: Der Nagel muss sie beide erst verwunden,

„Sie hat mir in die Augen gestochen!" Wenn er zwei Dinge fest zusammenhält.

fllzubang sucht kein Gescheidter [ tjMcr danach nur sein Werk begann,

Wies seine Bekannte ihm rathen,
Der zieht sich Gummischuhe an,
Um durch einen See zu. waten.
 
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