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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 20,2.1907

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Heft 22 (2. Augustheft 1907)
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Schwindrazheim, Oskar: Wie einer die Schönheit der Kleinstadt fand
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https://doi.org/10.11588/diglit.8626#0637

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^Iahrg. 20 Zweites Augustheft 1907 Heft22

Wie emer die Schönheit der Kleinstadt fand

In einem kleinen, ganz kleinen alten deutschen Städtlein lebte
einmal ein junger Mann, ein armer bedauernswerter junger Mann.
Er hatte es schriftlich, daß er das war! Einmal, wenngleich nicht mit
dürren Worten ausgesprochen, stand's in der ihm von einem löblichen
Magistrat aus sein Gesuch zugesandten Antwort, daß er ob seiner
geringsügigen Linnahme, besonders in Ansehung des Amstandes, daß
er davon auch noch seine alte Mutter erhalten müsse, von jeglicher
Steuer besreit sei. Zweitens, und zwar diesmal klipp und klar aus-
gesprochen, hatte er's schristlich in einem Briese seines Vetters Richard
in Berlin.

Vetter Richards Ausspruch gründete sich weniger auf Mangel an
irdischen Glücksgütern, der Berliner Vetter litt auch nicht an Äberfluß!
— nein, er beruhte aus einem Amstande, der, wenigstens nach Vetter
Richards Ansicht, noch weit, weit trauriger war: Konrad Treuen war
ein Kleinstädter, ein richtiger Kleinstädter! Daß er in der Kleinstadt
geboren war und bis dato in der Spezereiwaren-, Mehl- und Lisen^-
warenhandlung des Herrn Iakob Christoph Melber daselbst als Kommis
gelebt, war zwar schon traurig genug, wenn Vetter Richard dabei
bedachte, welche Genüsse der Großstadt er dadurch versäumt hatte.
Aber weit schlimmer war es, daß er als richtiger, waschechter Klein-
städter keine Schneid hatte, denn sonst HLtte er Vetter Richards schor^
ost geäußerten, wohlmeinenden Rat, seinem „knauserigen" Prinzipal
„den Kram vor die Füße zu wersen", und dem „traurigen Nest" den
Rücken zu kehren, um schnurstracks nach Berlin zu sahren, schon längst
besolgt! Aber als „richtiger Kleinstädter, wie er im Buche steht",
konnte er sich vor allerlei „dummen, lächerlichen und altmodisch senti-
mentalen" Rücksichten und Bedenken zu einem solchen Schritt natürlich
nicht aufrasfen! Ihm, Vetter Richard in Berlin, könne es ja egal
sein, so schloß der Bries, wenn es ihm denn Spaß mache, so möge er
eben „versauern und verkommen^ in dem „blödsinnigen" Nest, in seiner
„lieben VaterstadtN

In seiner lieben Vaterstadt! So hatte Konrad Treuen näm-
lich mehrmals das kleine Städtchen, in dem er geboren war und
in dem er als Herrn Iakob Christoph Melbers rechte Hand wirkte,
genannt. Vetter Richard sand die Bezeichnung „srauenzimmer-
haft übergeschnappt" und hatte ihn mehrmals ernsthast gebeten, sie
nicht mehr zu verwenden, wenigstens nicht in Briefen an ihn, weil
er sich jedesmal darüber „schief lachen" müsse und befürchte, daß ein
dauernder Schade eines Tages die Folge sein möchte.

Ia, Vetter Richard hatte wohl nicht ganz unrecht, er hatte ja
wohl etwas Frauenzimmerhastes an sich, er war wirklich ein bissel
zu weichmütig, zu zaghast, zu sentimental — und doch, jedesmal,
wenn er nach einem Berliner Brief sich ernstlich vornahm, Vetter
Richards Rat zu befolgen, war's ihm nach kurzer Zeit wiederum,
als sei's ihm völlig unmöglich, sich von seiner Amgebung, von der

2. Augusthest M?

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