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Kunstwart und Kulturwart — 37,2.1924

DOI Heft:
Heft 10 (Juliheft 1924)
DOI Artikel:
Zweig, Stefan: Der Zwang zum Drama bei Kleist
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https://doi.org/10.11588/diglit.14440#0164

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Der Zwang zum Drama bei Kleist*

„Ich dichte, weil ich es nicht lassen kann". (Brief)

^l^>it der Vernichtung des „Guiscard" meint der Gequälte den un-
^F/lbarncherzigen Gläubiger, den furchtbaren Verfolger in sich erdros-
^selt zu haben. Aber der Lhrgeiz, der grauenhaft aus den heijzesten
Adern emporgestiegene Dämon seines Lebens ist nicht tot: die unselige Tat
war so sinnlos, wie wenn einer sein Spiegelbild im Spiegel erschießt; nur
das drohende Bild zerklirrt, nicht der Doppelgänger, der in ihm weiter
lauert. Kleist kann, einmal in die neue Leidenschaft geraten, so wenig mehr
von der Kunst zurück wie der Morphinist vom Morphium; endlich hat er ein
Ventil gefunden, auf kurze Spanne das entsetzliche Äbermatz seines Ge-
fühls, den Aufschwall der Phantasien aus sich zu entladen, sich auszu-
schwelgen in dichterischen Träumen. Vergebens wehrt er sich, dumpf be°
wutzt, daß er in eine neue Leidenschaft sich unentrinnbar verstrickt, aber
er kann, der Kongestionierte seiner Gefühle, den heißen Aderlaß nicht
wehr entbehren, der ihn befreit. And dann: das Vermögen ist aufgezehrt,
die militärische Karriere verdorben, nüchterner Beamtenfron widert seiner
gewaltsamen Natur, so hilft nichts, obwohl er gemartert aufschreit: „Bücher-
schreiben für Geld — oh nichts, nichts davon!" Die Kunst, die Gestaltung
wird zwanghaft Form seiner Existenz, der dunkle Dämon hat Gestalt an-
genommen und wandert mit ihm in die Werke. Alle Lebenspläne, die er
wethodisch entworfen, sind zerfetzt vom Sturm des Schicksals: nun lebt er
den Willen, den dumpfen und weisen seiner Natur, die aus unendlicher
Nual des Menschen Anendliches zu formen liebt.

Wie ein Zwang, wie ein Laster liegt von nun ab die Kunst auf ihm.
Daher auch das merkwürdig Zwanghafte, das explosiv Losgerissene seiner
Dramen. Sie sind alle — mit Ausnahme des „Zerbrochenen Krugs", der
spielhaft, einer Wette zuliebe aus freilich nervigstem tzandgelenk produziert
war — Ausbrüche seines innersten Gefühls, Flucht aus der Hölle seines
tzerzens; sie haben alle einen überreizten Schreiton. gleichsam den gellen
Ton eines Erstickenden, der plötzlich Luft findet, sie sind explosiv wegge-
schnellt von überstraff gespannten Nerven, sie sind — man verzeihe das
Bild, ich weiß kein wahreres — herausgespritzt aus innerster Erhitzung und
Vedrängnis wie der Same des Mannes heiß vom Blute aus dem Geschlecht
fährt. Sie haben wenig Befruchtung vom Geiste, sind kaum überschattet
von der Vernunft — nackt, oft schamlos nackt, stoßen sie ins Unendliche
hmein aus einer unendlichen Leidenschaft heraus. Iedes einzelne treibt
ein Gefühl, ein Äbergefühl in seinem Superlativ, in jedem einzelnen explo-
diert eine andere Glutzelle seiner gestauten, aller Instinkte trächtigen Seele.
8m „Guiscard" speit er wie einen Blutsturz seinen ganzen promethidischen
Ehrgeiz aus sich heraus, in der „Penthesilea" überschwelgt sich seine sexuelle
tzitze, in der „tzermannsschlacht" tobt sich sein bis zur Bestialität hochge-
triebener Haß aus — alle drei habcn sie mehr das Fieber seines Bluts in
den Adern als die Außentemperatur des realen Lebens, und selbst in den
linderen, vom eigenen Ich mehr weggebogeneren Werken wie im „Käthchen
don Heilbronn" und den Novellen vibriert noch die elektrische Spannung
seiner Nerven, zuckt dieser fast grausam geschwinde Äbergang von epischer

. * Aus einem großen Aufsatz über Heinrich von Kleist, der gleichzeitig mit
mnem über Hölderlin und Nietzsche zu einem Buche „Dcr Kampf mit dem
Däinon" zusammengebaut ist.
 
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