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Kunstwart und Kulturwart — 33,1.1919-1920

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1919)
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Schumann, Wolfgang: Utopien und Utopistik
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Anders, Ernst Imm.: Neuere Dramen 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.14436#0024

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für Bestehendes, das bloß besteht, weil es einmal besteht, als daß wir
gute Mittel der Geistbefreiung um einiger „Gefahr" willen verwerfen
dürften. Wir wollen auch den „biologischen", durch kunsthafte und phantasie-
beschwingende Elemente des Utopismus verbürgten Wert dieser Geistesbe-
schäftigung nicht preisgeben. Aber freilich, eine Utopie allein tut es nicht.
Eine einzige, bestechende mag vielleicht unsreie und entbrannte Gemüter
eher „aufpeitschen" als reicher und freier machen. Aber Utopismus als
geistigen Volksbesitz zu schaffen, das hießs einer Zeit vorarbeiten, welche sich
endlich vielleicht doch der Kultur -Beherrschung erfreuen wird, während
wir unsere Kultur unfrei und unwissenki erleiden. Mit dem Bilde !dieser
Atopie sollte man das Schreckbild der demagogischen Utopie in Volkserzieher-
und Lehrerkreisen bannen!

So bald kehrt die Zeit der in sich ruhenden Lebensordnung, die wir trotz
zerrüttender und entnervender Kämpfe einige Iahrzehnte gehabt haben,
nicht wieder. Blicken wir nicht Lngstlich zurück, klammern wir uns nicht
an die allerdings noch recht stattlichen Reste einer stumpfen Gewöhntheit
und Duldergesinnung. „Ummöglich!", vor wie vielem ist das nicht gerufen
worden, was jetzt jeder sogar als geboten erkennt! „Aber die Entwicklung!"
ruft jeder Allzuschwachmütige, wo ein kühnes Wollen ihn bange macht.
„Enttäuschung harrt eurer" — das ist die stehende Rede der Allzuheutigen.
„Eine Gefahr für die Volksgesundheit" ist im Munde der Pedanten alles,
was sie nicht begreifen. Es wird tapferer, überlegener Geistesarbeit und
sreudiger Entschlossenheit bedürfen, aber mit diesen beiden können wir dem
vieldeutigen Kinde der Sehnsucht, der Phantasie und der Wissenschaft,
können wir der Utopie ein volles Lebensrecht in unserer Kultur erstreiten.

W o l f g an g S ch um a n n

G

Neuere Dramen 1

anz bewußt spreche ich im folgenden nicht mit irgendwelchem Nach-
druck von der Aufführbarkeit der Stücke, von ihrer allgemeinen
'Bühnenwirksamkeit oder von ihrer Wirksamkeit auf eine besondere
Zuhörerschaft. Es hat immer Kritiker gegeben und wird noch lange solche
geben, die von einer durchdachten Vorstellung ausgingen, was denn ein
Drama sei. Sie behaupteten etwa, ein nicht gut aufführbares Stück „sei
eben kein Drama", den „Gesetzen der Bühne" dürfe ein Dramatiker nicht
widerstreben, „das" Drama habe gewisse, ganz bestimmte „Gesetze" zu be-
folgen, ein „echter Dramatiker" sei daher so selten wie ein sünfblättriges
Kleeblatt usw. Man darf wohl sagen: gerade darin, daß solche Behauptun-
gen intensive geistige Bewsisarbeit hervorrufen, liegt ihr tzauptwert, denn
wenn sie niemals bewiesen worden sind, so haben sie doch eben im Rahmen^
der zugehörigen Beweisführungen eine Fülle wertvoller Gedanken hervor-
gelockt. Dagegen haben sie, in Deutschland wenigstens, die Beachtung der
Dichter sich nur selten erzwungen. Wir bekommen Iahr um Iahr eine
Anzahl von eindruckstarken Dichtungen, die als Dramen bezeichnet oder
an der Aufmachung als solche kenntlich sind, aber keineswegs vom tzauche
irgeud einer „Dramaturgie" berührt erscheinen. Kommen sie nicht auf die
Bühnen, so entgehen sie gemeinhin der Aufmerksamkeit der deutschen Leser-
schaft. Amd wenn sie einmal in Gera oder Schwerin die Bühne erblicken,
so ändert das an diesem Lose auch nicht viel.

Sollen wir solche Dichtungen nun auf das Prokrustesbett einer Dramen-
 
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