Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Natorp, Paul: Freideutsche Jugend
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0132

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Iahrg. 27 Zweites Oktoberheft 1913 Heft 2

Freideutsche Jugend

nr ((. und (2. Oktober soll auf dem Hohen Meißner bei Kassel ein
I erster „Freideutscher Iugendtag" gefeiert werden. Dazu ist eine
akademischen und Schul-Vereinigungen zusammenge-
treten, nachdem sie die wesentliche Linheit ihrer bisher einzeln versolgten
Bestrebungen erkannt zu haben glauben. Das Gemeinsame ihres Wollens
aus eine einfache Formel zu bringen, ist nicht ganz leicht. Man strebt
„nach einer Lebensführung, die jugendlichem Wesen entspricht, die es
ihr (der Iugend) aber (aber?) zugleich auch ermöglicht, sich selbst und
ihr Tun ernst zu nehmen und sich als einen besonderen Faktor in die
allgemeine Kulturarbeit einzugliedern^. Hier wäre eine Rngenauigkeit
zu berichtigen. Die Kulturarbeit der Iugend ist nicht ein besonderer
Faktor, sondern eine Stufe der allgemeinen Kulturarbeit. Das Neue
ist nicht, daß zu rhren bisherigen „Faktoren" ein weiterer hinzuträte,
sondern daß die Arbeit um eine Stufe früher einsetzen, daß schon die
frühe, die vorakademische Iugend aus eigner, tatkräftiger Entschließung,
und nicht bloß in der „passiven Rolle des Lernens", an ihr teilnehmen
soll. Der Sache nach ist's jedenfalls so gemeint. Weiter: „Sie möchte
das, was in ihr an reiner Begeisterung für höchste Menschheitsausgaben,
an ungebrochenem Glauben und Mut zu einem adligen Dasein lebt,
als einen ersrischenden, verjüngenden Strom dem Geistesleben des Volkes
zusühren, und sie glaubt, daß nichts heute unserem Volke nötiger ist,
als solche Geistesverjüngung." Als Ziel schwebt vor „die Erarbeitung
einer neuen, edlen deutschen Iug endkultur". Der bisher getrennten
Einzelarbeit der verschiedenen Gruppen lag zugrunde ein „gemeinsames
Gesühl vom Wesen, Wert und Willen der Iugend", das sich (gesteht
man) „wohl leichter in Taten umsetzen als auf Formeln bringen läßt".

Also in jedem Fall — ein Problem. Es war auch wohl richtiger,
das Problem ausdrücklich als solches hinzustellen, als sogleich eine
Lösung bereit zu haben. Auch ist schon die Problemstellung selbst, wenn
tzanz ernst genommen, eine Tat, und ein erster Schritt zur Lösung. Be-
darf das Gesamtleben der Nation einer Verjüngung, wie anders wäre sie
möglich, als daß das junge Geschlecht aus sich zu dem Entschluß kommt,
es anders zu machen als die Alten?

Rousseau war zu der Äberzeugung gekommen, daß die derzeitige
Kultur (insbesondere Frankreichs) auf falschem Wege sei. Nur durch
Erziehung einer neuen Generation konnte sie wieder zurechtkommen. Aber
wer sollte sie erziehen, wenn nicht die Alten — die doch selbst in dem
Verderben der derzeitigen Kultur ganz und gar befangen waren? Viel-
leicht konnte ein einzelner, aus richtigerer Einsicht, in besonnenem Ver-
sahren nach solcher, den rechten Weg weisen. So konstruiert sich Rousseau
zu einem idealen Zögling den idealen Erzieher, und entwirft den Gang
der idealen Erziehung. Das war, soweit, noch keine Lösung. Aber — das

97
 
Annotationen