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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Meißner, Else: Erker und Balkon: Entgegnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0243

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ERKER UND BALKON

ENTGEGNUNG
VON DR. PHIL. ELSE MEISSNER-CHARLOTTENBURG

DEN Ausführungen von Johannes Grobler in Nr. 8
dieser Zeitschrift wird man insoweit sicher zu-
stimmen können, als sie die künstlerische Behand-
lung wie des ganzen Miethauses, so auch seiner Teile, ins-
besondere des Erkers und des Balkons, fordern. Nicht
unwidersprochen aber dürfen meines Erachtens die Ansichten
bleiben, die der Verfasser über den hygienischen und sozialen
Wert des Balkons am Großstadtmiethaus äußert. Man
braucht nur einmal im Sommer einige Wochen hindurch
das Leben und Treiben auf den Balkons einer einigermaßen
ruhigen Wohnstraße zu beobachten, um zu erkennen, wie
der Großstädter, dem Licht und Luft so karg zugemessen
sind, hier einen wenn auch spärlichen Ersatz für den feh-
lenden Garten sucht. Noch wertvoller freilich als der Bal-
kon ist die sogenannte Loggia, die sich aber, besonders
bei kleineren Wohnungen, nicht überall anbringen läßt.
Deshalb sollte man meines Erachtens, anstatt den Balkon
rundweg zu verwerfen (Verfasser will ja Ausnahmen nur
zur Belebung des Straßenbildes zugelassen wissen), im
Gegenteil darauf dringen, daß möglichst zu jeder Wohnung
ein Balkon gehört, und zwar ein solcher, der wirklich be-
nutzbar ist. Wenn auch vielleicht der Balkon in einigen
Fällen nicht oder wenig benutzt wird, die Freude und der
Nutzen, die er in der Mehrzahl der Fälle bringt, haben
doch weitaus das Übergewicht. — Über die künstlerischen
Fragen kann ich nur als Laie urteilen; ich meine aber,
die Forderung darf nirgends heißen: das Bedürfnis hat sich
nach den künstlerischen Erfordernissen zu richten, sondern
immer: es muß die künstlerische Form für die Erfüllung
des Bedürfnisses gefunden werden. Anstatt den Balkon zu
ächten, sollten die Architekten ihren Stolz darein setzen,
die hier vorliegende Aufgabe in künstlerisch einwandfreier
Weise zu lösen. Wenn man dann für das schlechte Alte
etwas gutes Neues einsetzen kann, wird man auch sehr
viel leichter eine etwa notwendige Abänderung der bau-
polizeilichen Vorschriften durchsetzen können, als wenn man
nur niederreißen will, ohne aufzubauen. Es ist sicher falsch,
in dieser Beziehung die geschichtlichen Lösungen des Miet-
wohnhauses zum Vergleich heranzuziehen; denn dem Mieter
früherer Zeiten standen bei viel geringerer Stadtgröße und
Wohndichte ganz andere Möglichkeiten zur Befriedigung
desselben Bedürfnisses offen: wie oft war hinter dem Hause
ein Gärtchen, oder man hatte ein solches wenige Schritt
entfernt, — ganz abgesehen davon, daß die Bürger jener
alten Städte allein infolge der geringeren Stadtgröße auch
andere Bedürfnisse hatten. — Der Verfasser hat ja leider
damit sicher recht, daß die meisten bisher gefundenen
Lösungen der Balkonanordnung recht unbefriedigend sind,
obwohl es auch davon neuerdings schon Ausnahmen gibt,
die zeigen, daß geschickt angelegte Balkons mit ihrem
Blumenschmuck sogar zur Verschönerung des Straßenbildes
beitragen können1). Auf jeden Fall aber bedeutet die Äch-
tung des Balkons nicht die Lösung, sondern die Umgehung
des hier vorliegenden künstlerischen Problems, das vielleicht
geeignet wäre, die architektonische Schöpferkraft zu neuen
reizvollen Formen anzuregen, ähnlich wie der früher so
mißhanedlte Fabrikbau der Ausgangspunkt einer ganz neuen
Gestaltungsrichtung geworden ist.

1) Vgl. dazu die Ausführungen von Elfriede Schäfer
über »Blumenfenster und Balkon« im Maiheft der Zeit-
schrift »Innendekoration«.

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