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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 50.1934-1935

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Fischer, Theodor: Das Wandbild, [1]
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Das Wandbild. Von Theodor Fischer

Nicht ohne Grund hört man vielerlei Klagen über
die schwindende Teilnahme am Staffeleibild. Die
wirtschaftliche Not im allgemeinen, die fliehende
Freude am behaglichen Besitz im besonderen mö-
gen als Anlaß genannt werden: es ist aber auch
kein Zweifel darüber, daß das Staffeleibild an sich
in seiner geschichtlichen Entwicklung an einem
Punkt angelangt ist, wo ein Weiterschreiten kaum
mehr gedacht werden kann, wo eine Umkehr und
Besinnung notwendig wird. Schon die Uberproduk-
tion und, wenn man noch wirtschaftlicher sich aus-
drücken will, das fast ausschließlich herrschende
System des unbestellten Angebots ist ein Zeichen,
daß ein Endpunkt erreicht ist. Denn eben dies
System ist das Gegenteil künstlerischer, es ist das
Merkmal durch das Ausstellungsunwesen gezüchte-
ter industrieller Gesinnung. Und schließlich, wenn
man die Entwicklung durch den Impressionismus
zum Expressionismus als kennzeichnend annehmen
will, ist eben diese letzte innerlich durchaus nicht
überwundene Phase schon einem Uberschlagen der
Welle zu vergleichen: sie übernimmt im Staffelei-
bild, was nicht ihm, sondern der Wand zugehört.
V\ enn heute der „Schrei nach der Wand" allenthal-
ben gehört wird, so ist das Gesunde daran, daß die
notwendige Scheidung sich anbahnt.

*

Die Wand.

Der so sehr mißverstandene neuzeitliche Architekt
hat ganz folgerichtig erst wieder einmal den Be-
griff der Wand herstellen müssen: Der Raumab-
schluß ist ihr Sinn, und der war durch Riesenmöbel,
Tapeten und sonstiges „Kunstgewerbe" nahezu
vernichtet. Die Freude an der Fläche wird, wenn
man dem Werden wohlmeinend zusehen möchte,
nicht verhindern, daß diese, die Fläche, nun auch
wieder allem, was sich ihrem Gesetz unterordnet,
was flächenhaft ist, iVufnahme gewähren wird.
Vielleicht ist es der gewebte Teppich, wie im frü-
hen Mittelalter, den das Unbehagen vor der kahlen
Wand zuerst herbeilockt. Der Gobelin mit Figuren
und Landschaft dürfte nur nicht in Nachahmung
überentwickelten Barocks auftreten, sondern in
einer ehrlich-einfachen handwerklicher Gesinnung
der Weberei entwachsenden Art. Man erinnert sich
der Ausstellung von Gobelins für das Lloydschiff
„Bremen", wo diese ursprüngliche Art allein von
Alfred Heinrich Pellegrini aufgegriffen worden
war. Die Malerei an der Wand wird ihre Berech-
tigung dann erweisen, wenn auch sie nicht an späte
überreife Entwicklungsformen anknüpft, sondern
in weiser Zurückhaltung eben die Wand als solche
anerkennt. Fast ohne Ausnahme hat die Renais-
sance mit illusionistischer Wandmalerei dieses erste

Gesetz mißachtet; noch viel mehr der Barock, der
die Auflösung der Wand und der Decken geradezu
als das Endziel auffaßte. Wo ist aber die Grenze
zwischen Fläche und Flachheit? Ein geheimnisvol-
ler Vorgang, den zu erforschen hier nicht der Platz
ist, liegt ob: Die Malerei sei der Wand Untertan;
sie beansprucht andererseits mit Recht, die Natur
mit der Vorstellung des Körperlichen und Räum-
lichen wiederzugeben. Daß da die großen Entdek-
kungen der linearen und der Luftperspektive ver-
sagen, ist klar; aber wie abgesehen davon jene bei-
den sich widersprechenden Forderungen zu verein-
baren sind, darin eben liegt das Geheimnis, das
Wunder. Ein Hinweis auf Hildebrands Problem
der Form mag hier für den Wissenden genügen.
Auch die Außenwand ist Raumabschluß und gibt
dem Maler ihre Gesetze. Im Innern kann der
Architekt dem Bild leicht abgegrenzte Flächen be-
reiten. Die Außenwände aber sind höchst selten ge-
schlossene Flächen. Nur in Schiida baut man fen-
sterlose Häuser. Da ist also nicht nur die Fläche
im vorher besprochenen Sinn zu halten, sondern die
Wandflächen sind auch noch regelmäßig oder un-
regelmäßig zerschnitten. Es gibt Maler, die über
Fenster und Türen weg ihre Kompositionen hin-
überspringen lassen; das ist aber keine Kunst, son-
dern eine Barbarei. Anpassung muß der Architekt
fordern, und wenn die Fensterreihen große zusam-
menhängende Wandbilder nicht erlauben, so gibt
es zwei Möglichkeiten, entweder die unbedingte
Anerkennung des architektonischen Rhythmus mit
Rahmungen, Füllungen und Reihungen, oder das
zusammengefaßte Bild kleineren Umfangs auf den
von Fenstern freien Mauerflächen, sei es vereinzelt
oder in Wiederholungen. Eine häufig gesehene
Übung der Maler wird die Zustimmung des Archi-
tekten nie finden, das ist die Figurenmalerei auf
der Wand ohne Rahmen, dermaßen, daß der freie
Kontur in die Wandfläche ausstrahlt, wie bewegte
Landesgrenzen auf der Landkarte, auch wenn, oder
besser: besonders dann, wenn der Maler die Härte
dieses Verfahrens mit Wolken und sonstigen küm-
merlichen Notbehelfen vertuschen will. Sehr stö-
rend ist diese Übung bei echtem Fresko: Die Berei-
tung des Freskoputzes kann nicht streng nach dem
figürlichen Kontur vorgenommen werden und so
entsteht eine Wolke um das Bild, die seine ruhige
Wirkung sehr beeinträchtigt. Beim gerahmten oder
wenigstens lineal abgegrenzten Bild entfällt dies.
Doch damit berühren wir das Thema der Technik,
das nicht hierher gehört; die allgemeine Bemer-
kung möge aber noch einfließen: Malerei an der
Außenwand wird in den Städten so lange schnellem
Verderb ausgesetzt sein, als die Kohlenheizung üb-
lich ist. Daran würde sich wahrscheinlich auch
nicht viel ändern, wenn handwerkliches Können
verbreiteter wäre, als es tatsächlich der Fall ist.

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