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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Oppeln-Bronikowski, Friedrich von: Eine untergegangene Weltstadt
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Eine untergegangene Weltstadt. Von Dr. h.c. Friedrich v. Oppeln-Bronikowski

Seit ein paar Monaten ist die Islamische Abteilung
der Berliner Museen, die reichhaltigste und voll-
ständigste in Europa, in ihr neues Heim im Messel-
bau auf der Spreeinsel umgezogen, wo ihre Schätze
erst voll zur Geltung gekommen sind. Zum ersten-
mal sind dort die Funde aus der Sassanidenhaupt-
stadt Ktesiphon ausgestellt, die die Brücke zwischen
der parthischen und der islamischen Kunst schlagen
und in eigenartiger Mischung altorientalisches und
antikes Erbgut mit den Ansätzen zur Kunst des
Mittelalters und der Neuzeit verbinden. Eine wesent-
liche Lücke der Kunstgeschichte, die von der
Römerzeit bis zu Mohammed, ist damit geschlossen.
Die Funde stammen aus den deutschen Ausgrabun-
gen der letzten Jahre, fast den einzigen, die die
stolze Reihe der deutschen Vorkriegsgrabungen im
Vorderen Orient fortsetzen. Die erste Expedition
(1928/29) unter Leitung von O. Reuther, Dresden,
konnte noch von der Deutschen Orientgesellschaft
und der Notgemeinschaft der Deutschen Wissen-
schaft finanziert werden, doch für die Fortsetzung
der Arbeiten blieben die Mittel aus, und so brachte
der Begründer und damalige Direktor der Islami-
schen Abteilung, Friedrich Sarre, mit Hilfe von
Freunden seiner Abteilung und unter eigenen Op-
fern privatim einige Mittel dafür auf und nahm zu-
gleich das Angebot des Metropolitan-Museums in
Neuj'ork an, sich an der neuen Grabung zu beteili-
gen. Die Folge war, daß die Einzelfunde zwischen
den Museen von Berlin und Neuyork sowie dem
Museum des Ursprungslandes in Bagdad geteilt wer-
den mußten. Immerhin erhielt Berlin einige reprä-
sentative Stücke. Die neue Grabung wurde von
E. Kühnel, dem jetzigen Direktor der Islamischen Ab-
teilung, und Fr. Wachtsmuth, Marburg, geleitet.
Erst mit dem Untergang Seleukias beginnt die
Blüte von Ktesiphon. Ursprünglich nur Hoflager
der arsakidischen Partherkönige, wuchs es unter den
Sassaniden zur Weltstadt empor und übertraf schließ-
lich selbst Konstantinopel an Größe. Nach seiner
Eroberung durch die Araber (657^ verfiel es rasch,
zumal die Kalifen sich eine neue Hauptstadt in Bag-
dad schufen und Ktesiphon als Steinbruch ausbeu-
teten. Das war um so leichter, als seine Bauten größ-
tenteils nach altorientalischem Brauch aus Lehm-
ziegeln bestanden und nur die tragenden Bauglieder,
die Säulen, Pfeiler und Wölbungen, aus gebrannten
Ziegeln erbaut waren. So sind denn nur Grundrisse
und Trümmer übriggeblieben, doch in ihnen fan-
den sich zahlreiche Wanddekorationen aus Stuck,
Reste farbenprächtiger Wandmalereien und Mosaik-
schmuck der Wände und Wölbungen, sowie Kera-
mik und Glaswaren, die der nachschaffenden Phan-
tasie ein Bild des einstigen Glanzes geben.
Die Bauten gehören der spätsassanidischen Zeit
(5. und 6. Jahrhundert) an. Mit Ausnahme eines
riesigen unvollendeten Viereckbaues mit großen
Freitreppen an allen vier Seiten nach Art altorien-
talischer Herrscherpaläste, der wohl ein Kultbau

oder ein Denkmal werden sollte, zeigen alle ein
eigentümliches Gepräge. Nach außen streng abge-
schlossen, gruppieren sie sich um große Innenhöfe,
auf die sich tonnenüberwölbte Nischen oder tiefe
rechteckige Räume mit reichem Stuckdekor, bun-
tem Mosaikschmuck oder farbenprächtigen Male-
reien öffnen. Bisweilen finden sich auch T-förmige
Bäume wie in der islamischen Baukunst, deren
malerische Hufeisenbögen auf Pfeilern oder Säulen
gleichfalls schon vorkommen. Die Wohnräume da-
gegen, meist zwei hintereinander, ein langgestreck-
ter und ein quadratischer, teils labyrinthartig in-
einander übergehend, teils unorganisch nebenein-
ander gesetzt, aber durch Zwischentüren verbunden,
tragen nur schlichten Gipsverputz. Eine über-
raschende Ausnahme bildet ein bis in die Wölbung
bemalter Baum, wahrscheinlich ein Bad, dessen
farbenprächtige Wandgemälde reichgekleidete Fi-
gurengruppen darstellen. Auch sonst fehlt es nicht
an Badeanlagen. Eine Eigentümlichkeit bilden
schließlich enge, schlauchartig gewundene Gänge,
die zu geheimen Kammern führen. Über ihnen
schwebt noch ein Mysterium; vielleicht dienten
sie für Aufpasser oder Lauscher oder um Menschen
verschwinden zu lassen.

Die sehr mannigfachen Stuckdekorationen zeigen
neben orientalischen Pflanzen- und Ornament-
mustern starke antike Nachklänge, besonders im
Figurenschmuck, Paare von Tänzerinnen in noch
ganz antiker Gebärde, einen liegenden Jüngling
mit Trinkschale, einen stilisierten Pegasus, geflü-
gelte Eroten, Frauenbüsten in dekorativer Umrah-
mung — alles zu einer Zeit, wo in Europa die
Antike nur noch in der Buchillustration und der
Kleinplastik fortlebte: daneben immer wieder
orientalische Tier- und Jagdmotive, Löwen, Stiere
und Gazellen, galoppierende Hunde, Eber im Röh-
richt und Bären im Gestrüpp, meist in kontrastie-
render Darstellung, alles aus Platten zusammenge-
setzt oder auf die Stuckwände aufmodelliert.
Die Farbenpracht des Orients glänzt auch in der
Keramik auf: Gefäße mit grüner Bleiglasur oder
Lüsterdekor mit dekorativen Henkeln, wie sie sich
in der Kalifenresidenz Samarra fanden, die ersteren
mit aufgepreßten oder eingeschnittenen Ornamen-
ten, dazu das älteste chinesische Seladonporzellan,
wie denn überhaupt der Einfluß der chinesischen
Tangzeit auf die Keramik von Ktesiphon ein neues
Element in sein Kunstgewerbe einführt. Weit rei-
cher aber ist die Glasware, teils unverziert, teils mit
aufgepreßten oder eingeschliffenen Mustern oder
mit aufgepreßtem Netzwerk. Der Ubergang zur
Kunst des Islam ist auch hier sehr sanft. Auf dem
Weg über Ägypten und Konstantinopel ist diese
Glasindustrie schließlich bis nach Murano bei Ve-
nedig gelangt, wo sie bis heute blüht und die euro-
päische Glasindustrie ins Leben gerufen hat, letzten
Endes auch die europäische Nacherfindung des chi-
nesischen Porzellans.

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