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Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Universitätsbibliothek

IV. „Trotz allen Buchstudiums geht doch nichts über die Anschauung“
die bibliophilen Quellen und Gartenreisen

„Im Parke bin ich träumend meinem Ich in einem anderen Leben nachgegangen“ – Besuche in Wörlitz

Zwei Mal besuchte Marie Luise Gothein das Gartenreich nahe Dessau: vor und während des Ersten Weltkriegs. Betrachtete sie den Landschaftspark rein wissenschaftlich, stimmte sie der Besuch im Kriegsjahreher melancholisch. Ungewöhnlich ist auf jeden Fall ihr Urteil in der „Geschichteder Gartenkunst“: Es fällt gegen den Trend der Zeit positiv aus.

Marie Luise Gothein lernte den Wörlitzer Park in einem Zustand kennen, der sich von der ursprünglichen Inszenierung in zwei wesentlichen Punkten unterschied: Die Bäume und Büsche waren enorm gewachsen und hatten viele Sichtachsen zugewuchert. Das zeigen Postkarten aus dieser Zeit. Die Nachfahren von Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der den Park anlegen ließ, hatten nicht nur ihren Verschnitt untersagt, sondern den zunehmend düster-romantischen Charakter noch durch die Pflanzung einer Vielzahl von Nadelgehölzen verstärkt.

Nicht nur in Deutschland, sondern sogar in England, dem Mutterland des Landschaftsgartens, war es um 1900 üblich, diesen Gartentypus als unkünstlerisch abzulehnen. Gothein sah dagegen in Wörlitz einen Beleg für den Kunststatus des Landschaftsgartens, wenn sie auch – wie ihre Zeitgenossen – die Staffagegebäude im Park belustigten:

„Wörlitz wird im Sommer ganz wunderschön sein, dort habe ich es besonders entbehrt, dass Grün, Blumen und Farben fehlten und es gehört schon meine langjährig geübte Fantasie dazu um alles zu ergänzen. Ich habe aber dort wieder so recht empfunden wie thöricht das Gerede der heutigen Kunstheisssporne ist, dass der englische Landschaftsgarten kein Kunstgarten sei. Mit welcher Kunst hier jeder malerische Effekt berechnet ist ist [...].“ [Briefzitat aus IV.6a; Brief nicht online verfügbar]

Bei ihrem zweiten Besuch in Wörlitz radelte Marie Luise Gothein von Dessau aus in das Gartenreich. Im Lazarettkrankenhaus in Dessau pflegte sie gerade ihren kriegsverwundeten jüngsten Sohn Percy. Der zweitälteste Sohn Wilhelm war ein knappes Jahr zuvor gefallen. Auch bei diesem Besuch setzte sie sich mit der Architektur des Gartens auseinander, jedoch hatte sie keinen Druck mehr, die „Geschichte der Gartenkunst“ war bereits erschienen. So gab ihr der Aufenthalt vor allem die Möglichkeit, sich wehmütig zu erinnern:

„Im Parke bin ich träumend meinem ich in einem andern Leben nachgegangen – denn zurück in dieses andere Leben werden wir uns niemals finden, der Frieden muss uns bei neuen Aufgaben finden und neu müssen wir sie anfangen.“ [Briefzitat aus IV.6b; Brief nicht online verfügbar]

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